Ernährungsmythen – Was stimmt?

Carlo Weber
ist Koch, Lebensmittelingenieur und Food Unternehmer und bringt versiertes Wissen in Ernährungswissenschaft und Kulinarik mit. In seiner Gesundheits-Kolumne «Gesunder Tisch mit Carlo» schreibt er, was gesunde Ernährung konkret ausmacht.

Sobald wir uns tiefergehend mit Ernährung beschäftigen, begegnen uns viele Informationen und Mythen, sodass selbst Gesundheitsbewusste ins Grübeln kommen. Ist an den alten und neuen Weisheiten was dran? Was stimmt? Was ist überholt? Als Experte möchte ich über einige der gängigsten Missverständnisse aufklären und mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen darlegen. Praktische Tipps dazu können Ihnen helfen, diese Erkenntnisse im Alltag gekonnt zu nutzen. | Carlo Weber

Viel Wasser trinken macht schlank

Besonders in Fitnesskreisen heisst es, 3-4 Liter Wasser täglich würden den Stoffwechsel ankurbeln und Fett verbrennen. 

Wasser unterstützt den Stoffwechsel, denn es gibt Hinweise, dass es die Kalorienverbrennung leicht erhöhen kann, aber es ist kein Wundermittel gegen Übergewicht. Abnehmen gelingt nur durch ein Kaloriendefizit. Eine Studie von 2024 im Obesity Reviews zeigt bisher, dass Wasser hilft, den Appetit zu regulieren, aber keine direkte Fettverbrennung bewirkt.  

Mein Tipp: Trinken Sie vor Mahlzeiten ein Glas Wasser, um Überessen zu vermeiden, aber erwarten Sie keine Wundereffekte.

Abends essen führt zu Gewichtszunahme

Nach 18 Uhr zu essen, soll den Stoffwechsel verlangsamen und Fett ansetzen lassen. 

Entscheidend ist nicht die Uhrzeit, sondern die Gesamtkalorienaufnahme über den Tag. Wer abends isst, nimmt oft unbewusst mehr Kalorien zu sich, etwa durch Snacks vor dem Fernseher. Studien zeigen jedoch keinen direkten Zusammenhang zwischen späten Mahlzeiten und Gewichtszunahme, solange die Energiebilanz stimmt. Studien im International Journal of Obesity bestätigen, dass die Verteilung der Mahlzeiten über den Tag individuell angepasst werden kann, ohne den Stoffwechsel zu beeinträchtigen.  

Mein Tipp: Planen Sie abendliche Mahlzeiten bewusst leicht und klein, etwa eine Gemüsesuppe, denn schwere, späte Verdauung kann den Schlaf negativ beeinträchtigen und Schlafmangel hingegen kann die Gewichtszunahme fördern.

Zucker ist giftig

Zucker wird in Europa oft als «weisses Gift» verteufelt, besonders in Gesundheitsdiskussionen.

Zucker ist nicht giftig, sondern ein natürlicher Energielieferant. Problematisch wird es bei übermässigem Konsum, der mit Karies, Übergewicht und Typ-2-Diabetes assoziiert ist. In geringem Mass ist er unbedenklich. Die WHO empfiehlt, den Zuckerkonsum auf unter 10% der Tagesenergie zu begrenzen.

Mein Tipp: Verwenden Sie Rohzucker anstelle von raffiniertem Zucker UND halten Sie sich bei Softdrinks an den portugiesischen Fussballer, Cristiano Ronaldo: KEINE konsumieren, dann lieber «Água».

Milch ist essenziell für starke Knochen

In Europa, insbesondere Deutschland, Niederlanden und der Schweiz, gilt Milch als unverzichtbar für Kalzium und gesunde Knochen. 

Das ist vor allem Marketing. Milch liefert zwar Kalzium, aber sie ist nicht die einzige oder beste Quelle. Gemüse wie Brokkoli, Grünkohl oder Mandeln sowie angereicherte Pflanzenmilch sind Alternativen. Zudem zeigt sich, dass übermässiger Milchkonsum nicht automatisch vor Osteoporose schützt – Bewegung und Vitamin D sind ebenso entscheidend. Eine englische Studie fand keinen signifikanten Zusammenhang zwischen hohem Milchkonsum und geringerer Frakturrate.  

Mein Tipp: Ergänzen Sie Ihre Ernährung mit grünem Gemüse und Sonnenlicht für Vitamin D, statt nur auf Milch zu setzen.

Fettfreie Produkte sind gesünder

Light-Produkte ohne Fett werden oft als Schlüssel zu einer schlanken Figur und einer besseren Gesundheit beworben. 

Fett ist nicht der Feind – im Gegenteil, gesunde Fette aus Nüssen, Avocados, Olivenöl und Fisch oder Algen sind von höchster Wichtigkeit für die Hormonproduktion. Fettsäuren wie Omega-3 und -6 sind essenziell. Künstlich fettfreie Produkte hingegen enthalten oft zusätzlichen Zucker oder künstliche Zusätze, um den Geschmack auszugleichen, was sie weniger nahrhaft macht und den Zuckerkonsum fördern. Eine grosse Meta-Analyse in Amerika zeigt, dass der Verzehr gesunder Fette das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken kann, während stark verarbeitete fettfreie Alternativen keinen Vorteil bringen.  

Mein Tipp: Greifen Sie zu naturbelassenen Lebensmitteln, die reich an gesunden mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind, anstatt zu fettfreien Varianten.

Vegetarische Ernährung führt zu Eiweissmangel

In unserer Gesellschaft hält sich noch immer die Sorge, dass Vegetarier:innen nicht genug Eiweiss bekommen und Mangelernährung haben. 

Pflanzliche Quellen wie Linsen, Bohnen, Tofu, Hanfsamen oder Quinoa liefern ausreichend Eiweiss, oft mit weniger gesättigten Fetten als Fleisch. Ein Mangel droht nur bei einseitiger Ernährung. Sehr viele Studien zeigen eindeutig, dass gut geplante vegetarische oder auch vegane Ernährung alle essenziellen Aminosäuren (Proteinbausteine) liefert. 

Mein Tipp: Für eine ausgewogene Ernährung empfiehlt sich die ganze Bandbreite an pflanzlichen und tierischen Eiweissquellen zu kombinieren.

Detox-Kuren reinigen den Körper

Säfte, Tees und Detox-Produkte sollen den Körper von «Giftstoffen» befreien und die Gesundheit fördern.

Unser Körper hat bereits ein hocheffizientes Entgiftungssystem: Leber, Nieren und Darm arbeiten rund um die Uhr, um Schadstoffe auszuscheiden. Detox-Produkte haben keinen nachweisbaren zusätzlichen Nutzen – oft handelt es sich um Marketing. Britische Studien fanden keine Belege dafür, dass Detox-Kuren über eine ausgewogene Ernährung hinaus Vorteile bieten. Doch genügend Wasser und Ballaststoffe (z. B. bei Fruchtsmoothies) können die natürliche Entgiftung effektiver machen.

Mein Tipp: Trinken Sie täglich 1,5 bis 2 Liter Wasser und essen Sie ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, ganze Früchte und Hülsenfrüchte, das reicht völlig aus. Ohne teure Detox-Produkte steht am Ende mehr Geld für Qualitätslebensmittel zur Verfügung, Win-Win!

Fazit

Ernährungsmythen entstehen oft aus Halbwahrheiten oder veralteten Ansichten – oft befeuert durch Tradition oder Marketing. Neben den Aufgezählten gibt es noch viele weitere. Die Wissenschaft zeigt: Es gibt keine universellen Bösewichte wie Kohlenhydrate oder Fett und unser Körper braucht keine teuren Kuren. Stattdessen sind Ausgewogenheit, Qualität und individuelle Bedürfnisse massgebend. 

Hinterfragen Sie gängige Weisheiten, hören Sie auf Ihren Körper, informieren Sie sich aus verlässlichen Quellen und lassen Sie sich nicht von Modediäten verunsichern – so finden Sie Ihren eigenen, gesunden Weg. 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Abonnieren Sie die Printversion von Gesundheitsecho, um Zugriff auf alle Informationen zum Thema zu haben: Erfahrungsberichte, Tests, nützliche Adressen, Infografiken und mehr.
Also warten Sie nicht länger!
CHF39.00
Oder abonnieren Sie direkt 8 Ausgaben!
CHF78.00

Loading

Teilen auf

Facebook

Weitere Artikel

Mehr als Routine: der Gesundheits-Check-up als Schlüssel zur Vitalität

Regelmässige Gesundheits-Check-ups gehören heute zu den wichtigsten Säulen der modernen Präventivmedizin. Sie helfen, stille Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- oder Tumorerkrankungen frühzeitig zu erkennen, lange bevor Beschwerden auftreten. Durch gezielte Diagnostik und individuelle Beratung lassen sich Krankheiten nicht nur rechtzeitig behandeln, sondern häufig auch besser kontrollieren und antizipieren. PD Dr. med. Dr. sc. nat. Erik Walter Holy von der Privatklinik Bethanien, die Teil des Swiss Medical Network ist, erklärt, wie Prävention und Gesundheitsbewusstsein entscheidend dazu beitragen, Vitalität, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität langfristig zu erhalten.

Loading

Mehr lesen »

Augenblicke der Hoffnung: moderne Techniken bei Netzhauterkrankungen

Netzhauterkrankungen stellen hohe Anforderungen an Diagnostik und chirurgische Präzision. Gerade in diesem Bereich der Augenheilkunde hat sich in den letzten Jahren viel getan. Welche Entwicklungen diesen Wandel prägen, wie sich die operative Praxis verändert hat und welche Rolle dabei die Perspektive der Patientinnen und Patienten spielt, darüber spricht Prof. Dr. med. Matthias Becker, Chefarzt und Leiter Forschungszentrum Augenklinik, Stadtspital Zürich Triemli, im Interview.

Loading

Mehr lesen »

Gewicht und Blutzucker in den Wechseljahren – Studie Teilnahme

Im meinem Lieblingskaffee gibt es plötzlich auch Matcha-Latte, auf Social Media sieht man zahlreiche «Mushroom Coffees» und in einer Fernsehwerbung wirbt Jennifer Aniston für ein Kollagen-Pulver für schönere Haut. Funktionelle Lebensmittel, aus dem englischen «Functional Foods», haben den Nischenmarkt verlassen. Der Begriff beschreibt Lebensmittel oder Getränke, die über ihre reine Nährstoffversorgung hinaus einen spezifischen, gesundheitlichen Zusatznutzen bieten. Dies wird oft durch die Zugabe oder natürliche Konzentration von bioaktiven Inhaltsstoffen erreicht. Doch was ist Marketing und was bringt tatsächlich Nutzen? Sehen wir uns einmal die wissenschaftliche Evidenz hinter einigen populären funktionellen Lebensmitteln an.

Loading

Mehr lesen »

Mehr Menschlichkeit und Effizienz durch vernetzte Versorgung

Integrierte Versorgung ist mehr als ein Schlagwort – sie steht für ein Gesundheitssystem, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Mit dem integrierten Versorgungsmodell VIVA verfolgt das Swiss Medical Network einen ganzheitlichen Ansatz, der Hausärzt:innen, Fachspezialist:innen und Spitäler miteinander verbindet. Im Interview erklärt Esthelle Le Gallic de Kerizouët, CEO von VIVA Health Suisse, wie dieses Konzept den Alltag von Patient:innen spürbar verändert – und warum Zusammenarbeit der Schlüssel für Qualität und Vertrauen ist.

Loading

Mehr lesen »

So jung hatte ich nicht mit Krebs gerechnet

Wenn man sein ganzes Leben noch vor sich hat, kann es surreal oder sogar grausam erscheinen, wenn eine Krankenschwester mit einem unbeholfenen Lächeln sagt: «Sie haben Glück, Sie haben die richtige Krebs-art gewählt, denn Schilddrüsenkrebs ist gut behandelbar.» Denn auch wenn diese Krebsart oft eine gute Prognose hat, fühlt man sich in diesem Alter nicht bereit, sich mit diesem beängstigenden Wort auseinanderzusetzen. Denn es steht für Unsicherheit und Angst. Das empfand Magda, heute 39 Jahre alt, als die Diagnose gestellt wurde. Fünfzehn Jahre später, während sie ein Fotoalbum über ihre letzte 3500 km lange Reise durch Namibia vorbereitet, erzählt sie von ihrem Lebensweg, der von der Krankheit und dem Wunsch geprägt ist, weiterhin ein erfülltes Leben zu führen.

Loading

Mehr lesen »

Prostatakrebs: was jeder Mann wissen sollte

Obwohl Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern ist, ist er immer noch mit vielen Vorurteilen verbunden. Dank Früherkennung und multidisziplinären Behandlungsmöglichkeiten haben sich die Aussichten auf Heilung für Betroffene erheblich verbessert. Entscheidend bleibt die richtige Aufklärung, die Männer dazu ermutigen soll, das Stigma rund um Prostatakrebs abzulegen und ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. In diesem Interview befragten wir Dr. med. Berardino De Bari, Leiter der Abteilung für Radioonkologie am Neuenburger Spitalnetzwerk.

Loading

Mehr lesen »