
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jede Farbe, jedes geliebte Gesicht und jeder Sonnenuntergang langsam aus Ihrer Sicht verschwinden könnte. Für Millionen von Menschen mit Diabetes ist dies kein imaginäres Szenario, sondern eine sehr reale Bedrohung. Bei Diabetes geht es nicht nur um Blutzucker; er kann auch ein stiller Dieb der Sehkraft sein. Doch wie können wir unsere Augen vor dieser unsichtbaren Bedrohung schützen? Wir haben uns mit Dr. med. Aude Ambresin, Fachärztin für Augenheilkunde und Ophthalmochirurgie, getroffen, um dieses wichtige Thema zu beleuchten. Von Adeline Beijns
Können Sie uns sagen, wie viele Diabetikerinnen und Diabetiker pro Jahr zu einer Kontrolluntersuchung kommen?
CJedes Jahr kommen viele Menschen mit Diabetes zu Kontrolluntersuchungen in unsere Diabetes-Augensprechstunde. Die Anzahl ihrer Besuche hängt stark vom Schweregrad der Augenerkrankung ab. Manche Patient:innen müssen monatlich untersucht werden, insbesondere wenn sie aktive Komplikationen wie ein diabetisches Makulaödem haben. Andere werden vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich überwacht, wenn ihr Zustand stabil ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass ein erheblicher Anteil (ca. 30%) der Diabetespatientinnen und Patienten im Laufe ihres Lebens Augen- und/oder Sehprobleme entwickeln wird. Aus diesem Grund ist eine regelmässige augenärztliche Überwachung von entscheidender Bedeutung, um mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig eingreifen zu können, um das Sehvermögen zu erhalten.
Warum sind für Menschen mit Diabetes eine gute Einstellung und Einhaltung der Therapie entscheidend?
Die diabetische Augenerkrankung ist keine primäre Erkrankung des Auges, sondern eine direkte Folge des hohen und schwankenden Blutzuckerspiegels. Diese Blutzuckerschwankungen üben einen starken Stress auf die Blutgefässe und Nervenzellen im Auge aus, die das Netzhautgewebe bilden. Wissenschaftliche Studien haben eindeutig gezeigt, wie wichtig es ist, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten, um solche Komplikationen zu vermeiden.
Eine strenge Blutzuckerkontrolle reduziert oxidativen Stress und Entzündungen in den Netzhautgefässen und schützt so auch die Nervenzellen im Auge. Wenn Diabetiker:innen ihre Therapie konsequent einhalten, sich richtig ernähren und regelmässig Sport treiben, können sie das Risiko und den Schweregrad von Augenerkrankungen deutlich verringern.
Welches sind die Hauptrisiken für Diabetiker:innen aus augenärztlicher Sicht?
Für Menschen mit Diabetes sind vor allem diabetische Retinopathie und diabetisches Makulaödem die grössten Risiken. Die diabetische Retinopathie ist eine Schädigung der Blutgefässe in der Netzhaut, die ohne Symptome verlaufen kann, manchmal aber auch ein schweres Stadium erreicht. Das diabetische Makulaödem ist eine Flüssigkeitsansammlung in der Makula, dem zentralen Bereich der Netzhaut, der für das scharfe Sehen verantwortlich ist, und kann zu einer erheblichen Verschlechterung der Sehschärfe führen. Menschen mit Diabetes haben auch ein erhöhtes Risiko, in einem früheren Alter als die Allgemeinbevölkerung an Grauem Star zu erkranken. Grauer Star ist eine Trübung der Augenlinse, die zu verschwommenem Sehen führt. Diabetes beschleunigt den Alterungsprozess der Augenlinse, sodass möglicherweise ein früherer chirurgischer Eingriff zur Wiederherstellung des Sehvermögens erforderlich ist. Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese Komplikationen auch ohne erkennbare visuelle Symptome entwickeln können. Daher sind augenärztliche Untersuchungen bei der Diagnose und danach in regelmässigen Abständen unerlässlich, um eine Früherkennung und ein frühzeitiges Eingreifen zu ermöglichen.
Empfehlen Sie Menschen mit Diabetes, die an einem Makulaödem leiden, ihre Behandlung regelmässig fortzusetzen?
Auf jeden Fall. Die Regelmässigkeit der Behandlung ist entscheidend, um zum Beispiel ein diabetisches Makulaödem zu stabilisieren. Die derzeitigen Behandlungsmethoden, z. B. Medikamente, die über intraokulare Injektionen verabreicht werden, haben sich als wirksam erwiesen, erfordern aber eine strenge Überwachung. Patient:innen, die ihre Behandlung regelmässig fortsetzen und die Nachsorgetermine einhalten, maximieren ihre Chancen, langfristig eine gute Sehqualität zu erhalten.
