Wie wäre es, wenn wir die Spielregeln ändern würden?

Was wäre, wenn der Schlüssel zum Vergnügen in der Neugier oder dem Wunsch nach Selbstfindung läge? Drei Paare erzählen, wie eine etwas verrückte Idee ihre Intimität verändert hat. Zwischen Ungeschicklichkeiten, Gelächter und echten Emotionen haben ihnen diese ungewöhnlichen Erfahrungen vor allem beigebracht, sich wieder mit sich selbst und miteinander zu verbinden. | Natacha Beneva

Slow Sex nach tantrischer Art Pierre, 34 Jahre alt

«Die Idee kam von ihr. Eines Abends, zwischen zwei Gläsern Wein, erzählte sie mir von ‹tantrischem Sex›. Ich lachte, denn ich hielt das für eine etwas seltsame Modeerscheinung. Sie schien es ernst zu meinen und sagte, sie wolle, dass wir uns auf eine andere Art und Weise begegnen, ohne uns zu beeilen. Also sagte ich Ja. Der erste Versuch war etwas unbeholfen. Wir sollten gemeinsam atmen, uns lange anschauen, ohne etwas zu sagen. Ich wollte scherzen, die Stille brechen. Dann sah ich ihr Gesicht anders, ruhiger, präsenter. Und alles wurde langsamer. Es war kein sinnlicher Moment im üblichen Sinne, aber es war… echt. Es gab kein Ziel, nur einen Austausch. Ich habe verstanden, dass man sich nahe sein kann, ohne nach Leistung zu streben. Seitdem bewahren wir manchmal diese Verbindung auf andere Weise, diese Vertrautheit und diesen Blick. Das hat etwas zwischen uns verändert – als hätten wir uns in der Stille wiedergefunden.»

Die Nacht der Sinne Nadia, 41 Jahre alt

«Alles begann mit einem Gespräch darüber, dass wir immer ‹das Gleiche› beim Sex machen. Keine Langeweile, aber ein Gefühl der Routine. Also schlug ich ein Spiel vor: eine Nacht, in der wir uns nicht sehen würden. Ich bereitete das Schlafzimmer vor und tauchte es in völlige Dunkelheit. Kein Nachtlicht, kein Telefon, nur Kerzen im Flur. Die Idee war, unsere Körper auf andere Weise wiederzuentdecken, ohne die Augen. Am Anfang war es seltsam, fast unangenehm. Wir tasteten uns vor, lachten nervös, wussten nicht so recht, wohin mit unseren Händen. Dann veränderte die Dunkelheit nach und nach alles. Der kleinste Atemzug wurde intensiver, die Haut empfindlicher. Wir hörten einander zu, atmeten gemeinsam, nahmen uns Zeit. Es war, als hätte jede Geste eine Bedeutung, als würden wir lernen, uns zum ersten Mal zu berühren.»

Rollenspiele, neue Versionen von uns selbst – Sophie, 45 Jahre alt

«Wir befanden uns in einer festgefahrenen Routine, die zwar bequem, aber ohne Überraschungen war, und mein Mann sagte zu mir: ‹was wäre, wenn wir so tun würden, als würden wir uns nicht kennen?› Zuerst dachte ich, er mache einen Scherz. Aber er bestand darauf, also spielte ich mit. Am Abend traf er mich in unserem Wohnzimmer, das in eine Hotelbar verwandelt worden war. Ich trug ein Kleid und war etwas nervös, er einen schwarzen Anzug und wirkte geheimnisvoll. Zuerst musste ich lachen. Aber nach und nach nahm ich das Spiel ernst. Er sah mich an wie am ersten Tag. Und ich spürte Nervosität, Verlangen, Begierde und die Freude, ihm zu gefallen. Ich erinnere mich vor allem an das Gefühl, etwas wiedergefunden zu haben, das wir verloren geglaubt hatten: Neugier, Nervenkitzel. Es war nicht nur ein Spiel, es war eine Möglichkeit, uns neu zu entdecken. Seitdem reicht manchmal ein Blick, ein Satz, und ich finde diesen kleinen Funken wieder.

Liebe als abstrakte Malerei  Camille, 36 Jahre alt

«Wir hatten eine etwas triste Zeit hinter uns, in der sich alles um Arbeit und Kinder drehte. Ich hatte gerade eine Reportage über Künstler gesehen, die ihren Körper als Pinsel benutzten, und dachte mir: ‹ warum nicht auch wir?› Ich kaufte eine grosse Leinwand, Farbtöpfe und sagte zu meinem Mann: heute Abend machen wir Kunst! Er hielt es für einen Scherz, spielte aber mit. Am Anfang war es ein echtes Fiasko: die kalte Farbe, die Angst, sich schmutzig zu machen, das nervöse Lachen… aber dann liessen wir uns gehen. Es gab keine Regeln mehr, keine Hemmungen. Am Ende waren wir voller Farbe, klebten halb an der Leinwand und waren völlig ausgelassen. In diesem Moment war es vor allem lustig und ein bisschen absurd. Aber hinterher haben wir uns gesagt, dass es uns gutgetan hat: wir hatten uns auf eine andere Art wiedergefunden, ohne Scham, ohne uns selbst ernst zu nehmen. Das Bild hängt im Flur. Die Leute glauben, es sei abstrakte Kunst. Wir wissen, dass es eine Erinnerung an Freiheit ist.»

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