
Journalist für SRF Puls
Eine Krebsdiagnose verändert das Leben auf einen Schlag. Grosse Unsicherheiten kommen auf. Und schwierige Fragen stehen plötzlich im Raum. Beim Umgang damit gerät die Psyche immer stärker in den Fokus. | Joël Baumann, SRF Puls
Anna blickt auf einen steinigen Weg zurück. Nach mehreren sehr starken Chemotherapien und einem Rückfall ist sie heute krebsfrei. Ein gutes Umfeld habe ihr in dieser Zeit geholfen – wie auch das Malen. «Das war meine Therapie», so Anna. Hier konnte sie loslassen und frei sein – während der Krebs einen Grossteil ihres Lebens bestimmte.
Das Warten war das Schlimmste
Auch David Marques ist an Krebs erkrankt. Letzten Herbst wurde beim 40-jährigen Biologen aus Bern ein Sarkom zwischen Auge und Hirn festgestellt. Auch bei ihm war es ein Zufallsbefund. Als etwas mit dem Sehen nicht stimmte, schickte ihn die Augenärztin ins Inselspital. Schnell stand im Raum, dass es Krebs sein könnte. Bis zur Diagnose hat es aber gedauert. «Das Warten und die Ungewissheit waren das Schlimmste», sagt David heute.
Der Behandlungsbeginn hingegen ist oft mit einem Gefühl der Erleichterung verbunden: Endlich geht es vorwärts im Kampf gegen den Krebs. Davids Krebs ist selten und aggressiv, und er hat bereits gestreut, weshalb David palliativ behandelt wird. Das heisst, der Fokus der Behandlung liegt nicht auf Heilung, sondern darauf, die verbleibende Zeit zu verlängern und dass es ihm dabei möglichst gut geht. Das Schwierigste sei für ihn, dass er mit seiner Partnerin Gabriela einen 6-jährigen Sohn habe und nicht weiss, wie lange er noch für ihn da sein kann.
Das leistet die Psychoonkologie
Es sind herausfordernde Situationen für Betroffene und ihr Umfeld. Anna und David sind nicht alleine. Jedes Jahr erhalten gemäss der Krebsliga Schweiz rund 46’000 Menschen die Diagnose Krebs. Das anschliessende Warten darauf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, und die Unsicherheit sind eine grosse Belastung für Betroffene und ihr Umfeld. Menschen sehen sich auf einen Schlag mit dem Tod konfrontiert. Das zeigt: Krebs ist nicht nur eine Krankheit des Körpers – auch die Psyche leidet mit. Das weiss auch Kristin Murpf vom Kantonsspital Aarau. Sie ist Psychoonkologin, bietet also psychologische Betreuung für Krebsbetroffene an. Eine Krebsdiagnose bedeute, dass einem komplett der Boden unter den Füssen weggezogen werde. Hoffen, bangen, aufatmen – oder einen Rückfall erleiden.
Das zehre an den Nerven von Betroffenen und ihrem Umfeld. «Nicht nur die Momente der Diagnose oder eines Rückfalles belastend», so Kristin Murpf. «Überraschenderweise ist für viele auch die Remission, also der Rückgang der Erkrankung, wo man aber noch mit einem Rückfall rechnen muss, besonders schwer». Mit dem plötzlichen Stopp der Therapien und häufigen Untersuchungen stünden die Betroffenen oft im luftleeren Raum und hätten viel Zeit zum Nachdenken. Und sie müssen mit der Unsicherheit umgehen – kommt der Krebs zurück? Dann helfe die Psychoonkologie, um die ganze Situation zu verarbeiten und die Ressourcen zu stärken.
Frage nicht: Warum ich?
Die Frage nach dem «Warum», so wie es sich Anna Baptista gefragt hatte, begegnet Murpf oft. Viele Betroffene würden sich fragen, ob sie etwas falsch gemacht hätten. Besonders problematisch findet es Murpf, wenn das Umfeld versucht, ungefragte Erklärungsversuche für die Diagnose zu liefern. Dies könne den Eindruck vermitteln, dass die Betroffenen selbst schuld an der Erkrankung seien. «Ich bin da recht deutlich und ermutige die Betroffenen, nicht zu viel über diese ‹Warum-Frage› nachzudenken. Das bringt meiner Meinung nach gar nichts», so Murpf. Stattdessen lenkt sie den Fokus darauf, was man im Hier und Jetzt tun kann, um das Wohlbefinden zu verbessern. Was vielen Menschen schwerfällt und was sie deshalb immer wieder übt, ist die Akzeptanz aller Gefühle – sowohl der guten als auch der schwer auszuhaltenden.
Werden nämlich durch krampfhaftes positives Denken Angst, Wut, Trauer oder Verzweiflung verdrängt, tauchen diese oft in ganz anderen Bereichen wieder auf, so die Psychoonkologin. Auch Angehörige hätten oft das Gefühl, sie müssten «Stehaufmännchen» spielen und die Betroffenen konstant aufmuntern. «Wenn die Betroffenen konstant hören, man solle kämpfen oder man schaffe das, fühlten sie sich manchmal mit ihren Sorgen und Beschwerden nicht ganz ernst genommen», sagt die Psychoonkologin Kristin Murpf. Sie empfiehlt, grundsätzlich ehrlich mit Gefühlen umzugehen. Dazu gehöre, manchmal einfach zu zugeben, dass es furchtbar schwierig sei – auch als Angehörige. Und dann gelte es, dies auszuhalten und füreinander da zu sein. Danach, wenn die schwierigen Teile akzeptiert und «versorgt» seien, bliebe auch wieder mehr Raum für schöne Momente.
Seinen Tumor im Kopf nennt er «Alphonso»
Als bei David die Haare wegen der Chemotherapie auszufallen begannen, hat er sie abrasiert. Die Glatze steht David gut: Ein befreundeter Forscher attestierte ihm eine sehr schöne Kopfform. «Er muss es ja wissen als Anthropologe», sagt David und lacht. David und Gabriela helfen in der schwierigen Situation vor allem der Humor sowie der offene Umgang mit Davids Krebserkrankung. Das führe auch dazu, dass viel Hilfe und Unterstützung zurückkomme, davon sind die beiden überzeugt. Dem Tumor in Davids Kopf haben sie einen Namen gegeben. Sie nennen ihn Alphonso. Das hilft auch ihrem Sohn, für den der Krebs dadurch fassbarer wird. Und entlastet so auch Gabriela.
Denn auf ihren Schultern liegt viel. Oft muss sie sich um ihren Partner kümmern, und um ihren Sohn – und sich bei alledem selbst nicht vergessen. Katja Streiff von der Krebsliga kennt die Sorgen von Angehörigen von Krebsbetroffenen. Diese würden im Prozess oft vergessen gehen. Sie rät daher den Angehörigen, für sich selbst genügend früh professionelle Unterstützung zu organisieren. Um einen Ort zu haben, wo sie über Ängste und Sorgen reden können. Zudem rät sie dringend, die eigenen Hobbys nicht zu vernachlässigen. «Um anderen zu helfen, muss man seine eigenen Batterien aufladen», so Streiff.
Tipps für die Angehörigen
Wenn es darum geht, Krebsbetroffene zu unterstützen, hat sie zwei Tipps. Erstens: Keine ungefragten Ratschläge geben. Lieber fragen «Was brauchst du heute?». So sei man sicher, die betroffene Person nicht zu überfordern, sondern in ihrer Selbstbestimmung zu stärken. Zweitens: Ganz praktische Unterstützung im Alltag anbieten. Sie empfiehlt, ein Team von Helfenden zusammenzustellen, damit nicht alles an einer Person hängenbleibt. Geschätzt würden zum Beispiel Hilfe beim Kochen, Kinder hüten, oder Fahrdienste zur Therapie.


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