Funktionelle Lebensmittel: Was kann der neue Ernährungstrend wirklich?

Carlo Weber
ist Koch, Lebensmittelingenieur und Food Unternehmer und bringt versiertes Wissen in Ernährungswissenschaft und Kulinarik mit. In seiner Gesundheits-Kolumne «Gesunder Tisch mit Carlo» schreibt er, was gesunde Ernährung konkret ausmacht.

Im meinem Lieblingskaffee gibt es plötzlich auch Matcha-Latte, auf Social Media sieht man zahlreiche «Mushroom Coffees» und in einer Fernsehwerbung wirbt Jennifer Aniston für ein Kollagen-Pulver für schönere Haut. Funktionelle Lebensmittel, aus dem englischen «Functional Foods», haben den Nischenmarkt verlassen. Der Begriff beschreibt Lebensmittel oder Getränke, die über ihre reine Nährstoffversorgung hinaus einen spezifischen, gesundheitlichen Zusatznutzen bieten. Dies wird oft durch die Zugabe oder natürliche Konzentration von bioaktiven Inhaltsstoffen erreicht. Doch was ist Marketing und was bringt tatsächlich Nutzen? Sehen wir uns einmal die wissenschaftliche Evidenz hinter einigen populären funktionellen Lebensmitteln an. | Carlo Weber

Stressreduktion und mentale Balance

Sogenannte Adaptogene sind Substanzen, die dem Körper helfen sollen, physischen und psychischen Stress zu mildern, bzw. gelassener damit umzugehen:

Reishi: Der Pilz Reishi wird für seine beruhigenden und immunmodulierenden Eigenschaften geschätzt. Die enthaltenen Tri-Terpene scheinen eine beruhigende Wirkung auf das zentrale Nervensystem zu haben, was in Studien eine verbesserte Schlafqualität und Stressreduktion zeigte.2

Ashwagandha: Eines der bekanntesten pflanzlichen Adaptogene. Die Wurzel der Ashwagandha-Pflanze (Schlafbeere) wird seit Jahrtausenden im Ayurveda verwendet. Die moderne Wissenschaft bestätigt ihre Wirkung. Eine Meta-Analyse von 15 klinischen Studien kam zu dem Schluss, dass Ashwagandha-Präparate im Vergleich zu Placebo zu einer Reduktion von Angstsymptomen und Stress führen. Es wurde eine messbare Senkung des Stresshormons Cortisol nachgewiesen.1

Unterstützer von Herz-Kreislauf- und Immunsystem

Omega-3 (EPA & DHA): Diese Fettsäuren (wichtig aus marinem Ursprung: Fisch- oder Algenöl) sind essenziell. Sie werden Lebensmitteln wie Milch, Eiern oder Säften zugesetzt. Wissenschaft und Ernährungsberater sind sich einig: Die Fettsäuren EPA und DHA sind entscheidend für die Gehirnstruktur und die Herz-Kreislauf-Gesundheit.

Igel-Stachelbart (Lion›s Mane): Dieser Pilz steht im Fokus der Gehirnforschung. Lionʼs Mane enthält einzigartige Verbindungen (Hericenone und Erinacine), die Produktion des Nervenwachstum anregen können, welches essenziell für die Erhaltung und Reparatur von Neuronen ist. Studien bestätigen, dass Lionʼs Mane Potenzial zur Verbesserung der kognitiven Funktion zeigt.3

Shiitake (Lentinula edodes): Weit mehr als ein Speisepilz. Shiitake ist ein funktionelles Lebensmittel für die Herzgesundheit. Er enthält Eritadenin, eine Verbindung, die in Humanstudien nachweislich den LDL-Cholesterinspiegel («schlechtes» Cholesterin) senken kann.4

Spezifische Polyphenole (z. B. Curcumin): Kurkuma ist ein starkes entzündungshemmendes Mittel. Das Problem war lange die Bioverfügbarkeit, da es unser Körper kaum aufnimmt. Moderne funktionelle Getränke lösen dies durch Mizellen-Technologie oder die Kombination mit Piperin (Schwarzer Pfeffer). Aktuelle Reviews bestätigen, dass Curcumin Entzündungsmarker im Körper nachweislich senken kann.5

Leistungsstarke Helfer für Gehirn, Energie und Konzentration

Kaffee / Energy-Drinks: 

Koffein ist das weltweit am häufigsten genutzte funktionelle Stimulans, v.a. über Kaffee, aber auch Energie Drinks. Doch wie wir es konsumieren, macht den Unterschied. Gewollt ist mehr Fokus, statt Nervosität. Koffein wirkt, indem es Adenosin-Rezeptoren im Gehirn blockiert. Adenosin macht uns müde aber wird es blockiert, fühlen wir uns wach, aufmerksam und leistungsfähiger.

Matcha (Grüner Tee):

Matcha enthält ebenfalls Koffein, aber die eigentliche funktionelle Magie liegt in der Kombination mit der Aminosäure L-Theanin. L-Theanin fördert die Alpha-Wellen im Gehirn, was entspannend wirkt. Eine Meta-Analyse bestätigte, was viele Konsumenten berichten: Die Kombination verbessert die kognitive Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit signifikant. Entscheidend ist, dass L-Theanin die negativen Effekte von Koffein, wie Nervosität und Zittern, signifikant reduziert. So ist mit Matcha ein Zustand «wacher Entspannung» möglich.6

Cordyceps militaris: 

Dieser Pilz wird traditionell zur Steigerung der Vitalität genutzt und steht aktuell im Fokus der Sportwissenschaft. Es gibt Indizien, dass er die Sauerstoffaufnahme verbessern und die zelluläre Energieproduktion unterstützen kann.

Mineralreiche Getränke (z. B. Magnesium): 

Magnesium ist ein oft übersehener funktioneller Inhaltsstoff. Es ist an über 300 enzymatischen Reaktionen beteiligt, einschliesslich der Muskelkontraktion und der Energieproduktion. Angereicherte Sportgetränke oder Mineralwässer sind funktionell, da sie helfen, Defizite auszugleichen, die zu Krämpfen und Energiemangel führen können.7

Schönheit und Wohlbefinden von Innen

Der Kollagen Hype: 

Kollagen ist das Hauptstrukturprotein unseres Körpers – es hält Haut, Knochen und Gelenke zusammen. Mit dem Alter lässt die körpereigene Produktion nach, was zu Falten und Gelenkbeschwerden führt. Neu gibt es zahlreiche Funktionelle Lebensmittel wie Drinks, Pulver und Riegel denen Kollagen zugegeben wird. Natürlicherweise ist es in deftigen Fleischbouillons u.ä. enthalten. Eine grosse Meta-Analyse zeigt, dass die Einnahme von hydrolysiertem Kollagen über 90 Tage zur Reduktion der Faltentiefe und Verbesserung der Hautelastizität und -feuchtigkeit führte.8

Präbiotika (z. B. Inulin): 

Die Darmflora hat nachweislich viele verschiedene Einflüsse auf unsere Wohlbefinden da sie die Darm-Hirn-Achse beeinflusst. Präbiotika sind die «Nahrung» für unsere guten Darmbakterien. Man findet sie bspw. in Chicorée-Wurzel-Kaffee, Spargel oder angereicherten Joghurts. Wenn Probiotika (z. B. Bifidobakterien) Präbiotika fermentieren, produzieren sie kurzkettige Fettsäuren. Studien dazu zeigen, dass sie unsere Darmwand nähren, stark entzündungshemmend wirken und die Darmbarriere stabilisieren.9

Fazit und meine Empfehlung: 

Funktionelle Lebensmittel sind weit mehr als ein Marketing-Gag. Für viele Trend-Inhaltsstoffe, liefert die Wissenschaft eine solide Grundlage für die angepriesenen Wirkungen. Sie können eine ausgewogene Ernährung nicht ersetzen, aber sie können sinnvoll ergänzen. Achten Sie beim Kauf weniger auf das schöne Etikett als auf die Inhaltsstoffe und deren Dosierung. Informieren Sie sich über Wirkung, die empfohlene Tagesdosis und suchen sie gezielt die gewünschten Produkte. Oder noch besser: Pilze, Grüntee oder andere «Functional Foods» können Sie in Ursprungsform ganz einfach als Zutat in Ihr nächstes Gericht «einbauen».

Referenzen: 1. Bachour et al.. (2025): Effects of Ashwagandha Supplements on Cortisol, Stress, and Anxiety Levels in Adults: A Systematic Review and Meta-Analysis. 2. Kou et al. (2023): A review of Ganoderma lucidum polysaccharides: Health benefit, structure–activity relationship, modification, and nanoparticle encapsulation. 3. Contato & Conte (2025): Lion’s Mane Mushroom (Hericium erinaceus): A Neuroprotective Fungus with Antioxidant, Anti-Inflammatory, and Antimicrobial Potential—A Narrative Review. 4. Camilleri et al. (2025): The therapeutic potential of Shiitake Mushrooms (Lentinula edodes). 5. ACS Omega. (2023). Curcumin Formulations for Better Bioavailability: What We Learned from Clinical Trials Thus Far? 6. Zaragoza, J. et al. (2021). The effects of L-theanine, caffeine and their combination on cognition and mood. 7. Schwalfenberg, G. K. & Genuis, S. J. (2018). The Importance of Magnesium in Clinical Healthcare. Nutrients. 8.  de Miranda, R. B. et al. (2021). Effects of hydrolyzed collagen supplementation on skin aging: a systematic review and meta-analysis. 9. Davani-Davari, D. et al. (2019). Prebiotics: Definition, Types, Sources, Mechanisms, and Clinical Applications.

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