Psychotherapie im Wandel: Heilerfolge und Fortschritte der letzten Jahrzehnte

Prof. Dr. med. Urs Mosimann
Prof. Dr. med. Urs Mosimann

Psychotherapie wirkt – und sie ist heute so vielfältig wie nie. Von Angststörungen bis Depressionen, von neuen Verfahren bis zum Abbau von Tabus: Prof. Dr. med. Urs Mosimann, Vorsitzender der Klinikleitung und Ärztlicher Direktor, Privatklinik Wyss, spricht über Chancen, Irrtümer und den Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen. | Prof. Dr. med. Urs Mosimann

Welche psychischen Erkrankungen oder Belastungen lassen sich durch eine Psychotherapie besonders gut behandeln?

Psychotherapie kann viele psychische Erkrankungen wirksam behandeln. Besonders gute Erfolge zeigt die störungsspezifische Psychotherapie bei Angst- und Zwangserkrankungen. Auch Traumafolgestörungen sprechen häufig sehr gut auf Psychotherapie an. Weiterhin ist die Wirksamkeit besonders gut bei der Behandlung von Depressionen belegt, dort meist zusammen mit einer medikamentösen antidepressiven Therapie.

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Psychotherapie grundlegend verändert?

Die Ursprünge der Psychotherapie liegen in der analytischen Therapie, welche auf den umfassenden Werken von Sigmund Freud basiert. Er gehörte zu den ersten Psychiatern, die Konzepte zur Psychotherapie niedergeschrieben haben. Später entwickelten sich in den USA und in England die Verhaltenstherapien, während zeitgleich die systemischen Ansätze wie Familien- und Paartherapien entstanden. In den vergangenen 35 Jahren kamen zudem zahlreiche störungsspezifische Therapien hinzu, also Verfahren, die gezielt für bestimmte Krankheitsbilder entwickelt und in der psychotherapeutischen Forschung wissenschaftlich evaluiert wurden.

Wie hat sich das Bild von Psychotherapie in der Gesellschaft verändert? Wird sie heute leichter in Anspruch genommen als früher?

Psychische Belastungen sind heute nicht mehr so tabuisiert wie früher und bestimmte Krankheitsbilder verlieren zunehmend an Stigmatisierung. Über ein Burnout kann zum Beispiel durchaus an vielen Arbeitsplätzen offen gesprochen werden, und viele Firmen unterstützen Betroffenen inzwischen durch spezielle Wiedereingliederungsproramme mit Case Management. Gerade die jüngere Generation geht oft unbefangener mit Themen wie Stress, Ängsten und Depressionen um, was es leichter macht, über Probleme zu sprechen und wiederum den Zugang zu Psychotherapie vereinfacht.

Wie wichtig ist die Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in für den Erfolg einer Psychotherapie?

Die therapeutische Beziehung ist ein sehr wichtiger, methodenunabhängiger Wirkfaktor der Psychotherapie, wobei Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Respekt hierbei die Grundlage darstellen. Weitere wichtige Wirkfaktoren sind die Ressourcenaktivierung, die Problemaktualisierung, die Unterstützung zur Problembewältigung sowie die Möglichkeit der motivationalen Klärung. Diese Faktoren wurden insbesondere von Prof. Dr. med. Klaus Grawe umfassend wissen- schaftlich untersucht.

Wie erkennt man, ob man selbst von einer Psychotherapie profitieren könnte?

Aus dem oben Beschriebenen geht hervor, dass Psychotherapie eigentlich eine psychiatrische Erkrankung oder ein Störungsbild voraussetzt, das behandlungsbedürftig ist. Wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Psychotherapie sind die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Möglichkeit, eigenes Erleben in Worte zu fassen. Darüber hinaus sind eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung sowie der Wille, sich selbst verändern zu wollen, entscheidend. Psychotherapie erfordert zudem aktive Mitarbeit und persönliches Engagement.

Was ist aus Ihrer Sicht der grösste Irrtum über Psychotherapie?

Die Ursprünge der Psychotherapie waren oft «eminenzbasiert» und die verschiedenen therapeutischen Richtungen standen lange Zeit in Konkurrenz zueinander, bis sich allmählich eine integrative Haltung und Herangehensweise durchsetzte. Viele sehr erfahrene Therapeut:innen arbeiten heute eklektisch, das heisst, sie nutzen Instrumente aus unterschiedlichen Richtungen um eine individualisierte Therapie zu gestalten. Schliesslich zeigt die Praxis, dass sich Psychotherapie und Psychopharmakologie oft sinnvoll ergänzen und zusammen besonders wirksam sein können.

Ein letztes Wort an unsere Leser:innen?

Falls sie an einer psychischen Störung leiden, die mehrere Wochen anhält, empfehle ich das Gespräch mit einer medizinischen Vertrauensperson zu suchen. Dies ist oft der Hausarzt, bzw. die Hausärztin. Tragen Sie das Leiden nicht allein mit sich herum, denn es gibt viele wirksa- me Therapien für psychische Leiden.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Abonnieren Sie die Printversion von Gesundheitsecho, um Zugriff auf alle Informationen zum Thema zu haben: Erfahrungsberichte, Tests, nützliche Adressen, Infografiken und mehr.
Also warten Sie nicht länger!
CHF39.00
Oder abonnieren Sie direkt 8 Ausgaben!
CHF78.00

Loading

Teilen auf

Facebook

Weitere Artikel

Chronische Rhinosinusitis: Lassen Sie die Nasenpolypen nicht die Oberhand gewinnen

Die schwere chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen ist eine Erkrankung, die die Lebensqualität der Patient:innen erheblich beeinträchtigt. Sie ist gekennzeichnet durch eine anhaltende Entzündung der Nasen- und Nebenhöhlenschleimhaut mit polypischen Formationen, die die Atmung beeinträchtigen, den Geruchssinn vermindern und zu wiederkehrenden Infektionen führen können. Um diese Erkrankung und die aktuellen Therapieansätze besser zu verstehen, haben wir Prof. Dr. Matteo Trimarchi, HNO-Experte an der Universität Lugano und Leiter der HNO-Abteilung am Ente Ospedaliero Cantonale Lugano, befragt.

Loading

Mehr lesen »

Weibliches Wohlbefinden: warum Intimhygiene so wichtig ist

Die Intimpflege ist von grundlegender Bedeutung für die allgemeine Gesundheit von Frauen und beeinflusst sowohl ihr körperliches als auch ihr psychisches Wohlbefinden. Eine adäquate Pflege des Genitalbereichs beschränkt sich nicht nur auf die Sauberkeit, sondern umfasst auch die Vorbeugung von vielfältigen gesundheitlichen Problemen. Im Folgenden ergründen wir die Bedeutung und die Risiken, die mit nachlässiger Hygiene einhergehen.

Loading

Mehr lesen »

Vom Grossraumbüro aufs Feld: eine neue Sicht auf Komfort

Wir verbringen immer mehr Zeit vor Bildschirmen. Sei es bei der Arbeit, beim Lernen oder einfach zur Unterhaltung. Das Ergebnis: Unsere Augen werden ständig beansprucht und wir können unter Müdigkeit, Augentrockenheit oder auch Kopfschmerzen leiden. Aufgrund dieser Tatsache entsteht eine Praxis, die bei Gesundheitsfachleuten auf wachsendes Interesse stösst: die Augenmeditation.

Loading

Mehr lesen »

Weil Gesundheit Vorsorge braucht: Was wir über HPV wissen sollten

HPV ist weltweit verbreitet und betrifft die meisten Menschen irgendwann im Leben. Während viele Infektionen unbemerkt ausheilen, können andere schwerwiegende Folgen haben. Umso wichtiger sind Aufklärung, Vorsorge und Impfung. Dr. med. Natalia Trofimchuk, Oberärztin für Frauenmedizin, erklärt, worauf es bei der Prävention ankommt und welche Rolle moderne Screeningmethoden spielen.

Loading

Mehr lesen »

Im Angesicht der Menopause: Auf den Körper hören, eigene Entscheidungen treffen

Die Menopause ist ein Thema, das immer noch viele Fragen aufwirft, obwohl es viele Frauen in einem entscheidenden Moment ihres Lebens betrifft. Jede Frau durchläuft diese Phase anders, mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Wichtig ist, dass Sie die Behandlung finden, die am besten zu Ihrem Körper, Ihrem Rhythmus und Ihren Wünschen passt. Sophie, 58, Sicherheitsbeamtin und Mutter von zwei Kindern, hat sich bereiterklärt, ihre Erfahrungen offen zu teilen.

Loading

Mehr lesen »

Idiopathische Lungenfibrose: von anhalten- dem Husten bis zur Lungentransplantation

Die idiopathische Lungenfibrose (IPF) ist eine schwere Lungenerkrankung, deren Ursachen noch weitgehend unbekannt sind. Sie führt zu einer fortschreitenden, irreversiblen Vernarbung des Lungengewebes und vermindert so die Sauerstoffversorgung des Blutes. Leider wird die Krankheit oft erst spät diagnostiziert, da die frühen Symptome leicht mit einem einfachen Husten oder einer hartnäckigen Erkältung verwechselt werden können. Anhand der Geschichte von Urbain Ndecky, einem 57-jährigen Mann mit aussergewöhnlichem Mut, wird deutlich, wie aus einem einfachen Husten ein täglicher Kampf ums Überleben werden kann.

Loading

Mehr lesen »