Probiotika – Modeerscheinungen oder echte Gesundheitspartner?

Dr. med. Nathalie Jacquelin-Ravel

In einer Welt, in der der Darm immer mehr als unser «zweites Gehirn» angesehen wird, spielen Probiotika eine zentrale Rolle in Gesundheitsdiskussionen. Doch was steckt eigentlich hinter dem Trendbegriff der Wissenschaft? Wir haben bei Dr. med. Nathalie Jacquelin-Ravel, Spezialistin für klinische und metabolische Ernährung, nachgefragt, welche Rolle diese «guten Bakterien» spielen und welchen Nutzen sie tatsächlich für unseren Körper haben. | Adeline Beijns

Können Sie uns auf einfache Weise erklären, was Probiotika sind und wie sie mit unserem Darm interagieren?

Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden, über die herkömmlichen Ernährungseffekte hinaus einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben. Sie wirken hauptsächlich durch komplexe Mechanismen wie Immunmodulation, Verbesserung der Verdauung und direkte Konkurrenz mit Krankheitserregern. Sie schaffen eine pathogenfeindliche Umgebung, unter anderem indem sie hemmende Substanzen produzieren. Zudem regen sie die Produktion von schützendem Schleim an, stärken die Darmbarriere und verhindern gleichzeitig, dass Krankheitserreger an den Darmwänden anhaften.

Welchen konkreten Nutzen kann man von einer Supplementierung mit Probiotika erwarten?

Probiotische Produkte, die in verschiedenen Formen von Lebensmitteln bis hin zu Medikamenten erhältlich sind, erfreuen sich derzeit grosser Beliebtheit. Ihre Rolle steht in engem Zusammenhang mit den natürlich vorkommenden Mikroben in unserem Darm. Diese Wechselwirkung zwischen Probiotika und Darm-Mikrobiota könnte ein wesentlicher Faktor sein, um die menschliche Gesundheit positiv zu beeinflussen.

In welchen Situationen empfehlen Sie Probiotika konkret?

Die meisten Probiotika, die derzeit verwendet werden, stammen aus fermentierten Lebensmitteln oder gesunden menschlichen Darm-Mikrobiota, vor allem Laktobazillen und Bifidobakterien. Sie sind in der Regel für gesunde Bevölkerungsgruppen bestimmt, aber bei immungeschwächten oder schwer kranken Personen sollte ihre Verwendung auf bestimmte, wissenschaftlich validierte Stämme beschränkt werden.

Aktuell sind nur wenige Indikationen anerkannt, darunter akuter Durchfall bei Kindern, Vorbeugung von antibiotikabedingtem Durchfall, Pouchitis, Colitis ulcerosa sowie gewisse Verdauungsstörungen wie Reizdarmsyndrom und Laktoseintoleranz. Ermutigende Ergebnisse gibt es auch beim metabolischen Syndrom, bei bestimmten Lungeninfektionen sowie neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Diese Anwendungen erfordern jedoch eine bessere Auswahl der Stämme und ein tieferes Verständnis ihrer Wirkungsmechanismen.

Kann man sich allein auf die Ernährung verlassen, um genügend Probiotika zu sich zu nehmen, oder braucht es Nahrungsergänzungsmittel?

Epidemiologische Daten belegen die Rolle der Ernährung für die Erhaltung des Gesundheitszustandes. Die Mechanismen vieler Erkrankungen sind zum Teil durch Ernährungsfaktoren beeinflusst. Die Mikrobiota ist ein wichtiger Akteur bei diesen Mechanismen. Sie selbst wird stark durch die Ernährung beeinflusst. Ein mediterran inspiriertes Modell gilt als das vorteilhafteste.

Ist es besser, Probiotika punktuell einzusetzen oder langfristig regelmässig einzunehmen?

Am positivsten lässt sich unsere Mikrobiota durch Ernährung, Bewegung, Schlaf und einen bewussten Umgang mit Stress und unserer Umwelt beeinflussen. Zudem ist es wichtig zu bedenken, dass Probiotike nicht zur Selbstmedikation verwendet werden sollten. Entsprechend gibt es für jedes Krankheitsbild spezifische Indikationen und somit Dosierungsschemata, die entsprechend der ärztlichen Verordnung beachtet werden müssen.

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