Familienerbe Migräne

Juliette
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Juliette, 52, hat ein bewegtes Leben. Als Französischlehrerin an einem Gymnasium, Mutter von zwei Teenagerinnen und Besitzerin von zwei kleinen Hunden, die jeden Tag ausgeführt werden wollen, verkörpert sie überströmende Energie und eine tiefe Liebe zu ihren Mitmenschen. Doch im Schatten ihres aktiven Lebens lastet eine unsichtbare, allgegenwärtige Bürde auf ihren Schultern: die Migräne. | Adeline Beijns

Beschwerden seit der Teenagerzeit

Juliette kennt sich aus mit dem Thema. Die ersten Anfälle begannen schon im Teenageralter. Schmerzen zwangen sie, sich ins Dunkle zurückzuziehen, abgeschottet von Lärm und Licht. Damals verstand niemand aus ihrem Umfeld wirklich, was sie durchmachte. «Das sind nur Kopfschmerzen», hiess es oft – eine Verharmlosung angesichts der Heftigkeit der Anfälle.

Doch Juliette wusste, dass es viel mehr war. Ihr migränegeprüfter Vater teilte dieses Übel mit ihr. Er hat ihr beigebracht, die Anfänge eines Anfalls zu erkennen: die visuelle Aura, diese flimmernde Unschärfe, die den bevorstehenden Schmerz ankündigt. «Du musst deine Trigger finden und lernen, sie zu vermeiden», hatte er ihr gesagt. Ein wertvoller Ratschlag, der im modernen Leben aber manchmal schwer umzusetzen ist.

Unvorhersehbare Auslöser

Für Juliette gibt es viele unterschiedliche Auslöser. Helles Licht ist ein schrecklicher Feind. Im Unterricht kann eine defekte Neonröhre genügen, um einen Anfall auszulösen. Stress, in ihrem Beruf allgegenwärtig, verschlimmert das Problem noch weiter. «Jeder Schulbeginn nach den Sommerferien fordert meinen Körper und meinen Geist gleichermassen heraus», sagt sie.

Weitere erschwerende Faktoren sind anhaltender Lärm, vor allem auf dem Pausenhof, und lange Konzentrationsphasen, z.B. wenn sie am späten Abend Arbeiten korrigiert. Trotzdem will sich die Mutter nicht unterkriegen lassen. «Ich habe gelernt, mit meiner Migräne zu leben, aber sie definiert nicht, wer ich bin.» Ein Satz, den sie mantrahaft wiederholt. Doch der damit verbundene Aufwand ist enorm und für andere oft unsichtbar.

Sorgfältiges Management

Im Laufe der Jahre hat Juliette eine strenge Routine entwickelt, um Anfällen so gut wie möglich vorzubeugen. Ihre Brille mit Blaulichtfilter hat sie bei der Arbeit am Computer immer auf. Während der Schulstunden achtet sie auf regelmässige Pausen, auch wenn sie damit das Unterrichtstempo verlangsamt. Ihre Spaziergänge mit den Hunden werden zu lebenswichtigen Entspannungsmomenten. Und wenn doch einmal Schmerzen auftreten, hat sie immer Triptan zur Hand – ein Medikament, das es ihr ermöglicht, weiterzumachen.

Die grösste Herausforderung sieht sie aber nach wie vor darin, einen Ausgleich zu finden. «Die Migräne zeigt mir immer wieder meine Grenzen auf, nimmt mir aber nicht meine Leidenschaften. Unterrichten, Zeit mit meinen Töchtern verbringen, mich um meine Hunde kümmern – das gibt meinem Leben einen Sinn.»

Diagnose und Früherkennung

Die Diagnose kann bereits während der Schwangerschaft anhand einer Ultraschalluntersuchung gestellt werden, die gebrochene oder ungewöhnlich kurze lange Knochen zeigt. Nach der Geburt ist das wiederholte Auftreten unerklärlicher Frakturen oft das erste Warnsignal. Radiologische Untersuchungen, eine genetische Analyse und manchmal biochemische Tests ermöglichen die Bestätigung der Osteogenesis imperfecta. In schweren Fällen wird die Krankheit sehr früh erkannt, während bei milderen Formen die Diagnose erst im Erwachsenenalter erfolgen kann – manchmal nach einer einfachen Verstauchung, die ungewöhnlich fragile Knochen offenbart.

Eine unsichtbare Belastung

Migräne ist weit mehr als nur ein körperlicher Schmerz. Sie ist eine mentale und emotionale Belastung, ein Gewicht, das man tragen muss, während man gleichzeitig für andere da ist. Juliette sagt, dass sie sich manchmal missverstanden fühle,
auch von ihrer Familie. «Man sagt mir, ich solle weniger tun, mich mehr erholen. Doch wer übernimmt meine Aufgaben, wenn ich kürzertrete?» Sie wünscht sich auch eine bessere Anerkennung der Migräne im medizinischen und beruflichen Umfeld. «Es handelt sich um eine unsichtbare Behinderung. Die Leute denken, man nimmt einfach ein Medikament, und alles kommt in Ordnung. Doch die Realität sieht anders aus.»

Das Schweigen brechen

Mit ihrer Geschichte möchte Juliette Gesundheitsfachpersonen für die Auswirkungen von Migräne auf den Alltag sensibilisieren. Sie wünscht sich, dass diese Krankheit stärker erforscht wird, Therapien besser abgestimmt werden und Arbeitgeber die Realität der chronischen Migräne in ihre Gesundheitsstrategien einbeziehen.

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