Augen auf bei der Vorsorge: Netzhauterkrankungen früh erkennen und behandeln

Prof. Dr. med. Matthias Becker

Gesunde Augen sind für die meisten Menschen selbstverständlich. Doch Erkrankungen der Netzhaut können das Sehvermögen schleichend und dauerhaft beeinträchtigen. Moderne Therapien bieten heute Chancen, die vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wären. Prof. Dr. med. Matthias Becker, Chefarzt und Leiter Forschungszentrum Augenklinik, Stadtspital Zürich Triemli, gibt im Interview einen Einblick in die heutigen Möglichkeiten der Netzhautdiagnostik und -therapie. | Noémie Aeschlimann

Wie haben sich die Techniken für Eingriffe an der Netzhaut in den letzten Jahren entwickelt?

Es hat einen enormen technologischen Fortschritt gegeben. Wir können heute Operationen durchführen, die vor zehn oder zwanzig Jahren kaum denkbar gewesen wären. Wir erleben hier medizinischen Fortschritt pur und können unseren Patient:in- nen modernste Behandlungen anbieten. Vor allem im Bereich der Mikrochirurgie und der medikamentösen Therapien bei Makulaerkrankungen hat sich vieles getan.

Was sind heute die wichtigsten therapeutischen Möglichkeiten für Patient:innen mit Netzhauterkrankungen?

Der grösste Bereich ist die Behandlung von Makulaerkrankungen, also Erkrankungen an der Stelle des schärfsten Sehens. Diese Region fixiert die Buchstaben beim Lesen oder hilft beim genauen Erkennen. Wenn dort eine Erkrankung auftritt, sehen Patient:innen zentral eine Art Wolke, genau an der Stelle, auf die sie schauen.

Die häufigste Erkrankung in diesem Bereich ist die sogenannte Makuladegeneration. Hier gab es in den letzten zwanzig Jahren eine echte Revolution. Es stehen heute Medikamente zur Verfügung, die man direkt in das Auge injizieren kann. Diese Medikamente blockieren Wachstumsfaktoren, die zur Gefässneubildung und Flüssigkeitsansammlung führen. Die Wirkung ist beeindruckend und bei vielen Patient:innen lässt sich die Sehleistung stabilisieren oder sogar verbessern.

Zusätzlich haben wir sehr gute mikrochirurgische Verfahren, mit denen man unter dem Mikroskop extrem feine Operationen durchführen kann. Dabei können zum Beispiel Membranen entfernt oder Defekte an der Netzhaut geschlossen werden. Auch bei Netzhautablösungen stehen heute verschiedene Methoden zur Verfügung, um die Netzhaut durch spezielle Flüssigkeiten von innen zu stabilisieren und wieder an ihre Unterlage anzulegen. Früher mussten Patient:innen dafür wochenlang stationär liegen, heute erfolgt vieles ambulant oder mit kurzer Hospitalisation.

Wie läuft ein Eingriff an der Netzhaut mit den heutigen Methoden konkret ab?

Zunächst kommen die Patient:innen zur Voruntersuchung. Dabei bestimmen wir die Sehkraft, messen den Augendruck und erstellen eine Schichtaufnahme der Netzhaut, vor allem der Makula. Wenn wir dabei Flüssigkeitseinlagerungen feststellen, entscheiden wir gemeinsam mit den Patient:innen über die Behandlung.

Diese erfolgt dann in einem sterilen Operationssaal. Das Auge wird mit Betäubungstropfen vorbereitet und desinfiziert, bevor das Medikament mit einer sehr feinen Nadel injiziert wird. Die meisten Patient:innen empfinden den Eingriff als wenig unangenehm. Er dauert nur wenige Minuten und ist ambulant durchführbar. Es ist individuell unterschiedlich, welche Medikamente wie gut wirken. Manche sprechen besser auf das eine, andere auf ein anderes Präparat an. Wenn ein Medikament gut wirkt, bleibt man in der Regel dabei.

Die Behandlung erfolgt dann über Monate oder Jahre hinweg in regelmässigen Abständen, je nachdem, wann der Wirkstoffspiegel nachlässt und sich erneut Flüssigkeit bildet. Entscheidend ist, dass die Patient:innen regelmässig zu Kontrolluntersuchungen kommen. Eine Verschlechterung wird oft erst bemerkt, wenn die Sehfähigkeit bereits deutlich eingeschränkt ist. Deshalb darf man den richtigen Zeitpunkt für eine erneute Behandlung nicht verpassen. Auch in Notfallsituationen wie plötzlichem Sehverlust oder dem Eindruck, dass gerade Linien plötzlich verbogen erscheinen, ist rasches Handeln wichtig. Solche Symptome können auf ein Makulaödem oder eine Netzhautablösung hindeuten.

Wie erleben Patient:innen den Weg von der Diagnose bis zur Therapie?

Ziel ist es, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen oder zu stoppen, und das gelingt heute sehr gut. Voraussetzung ist allerdings, dass die Patient:innen eben regelmässig zu den Kontrollterminen kommen und die Therapie konsequent fortsetzen. Viele zeigen zunächst grossen Respekt vor der ersten Spritze, merken aber schnell, dass die Behandlung gut auszuhalten ist. Ich arbeite nun seit dreissig Jahren in der Augenheilkunde. Vor zwanzig Jahren hatten wir für Makuladegeneration praktisch keine Therapieoptionen. Die Menschen sind einfach erblindet, und wir konnten nichts dagegen tun. Heute können wir in vielen Fällen das Sehvermögen erhalten. Das ist ein enormer Fortschritt!

Ich habe jetzt immer von der feuchten Form der Makuladegeneration gesprochen, allerdings gibt es auch die sogenannte trockene Form. Für diese gibt es derzeit noch keine in der Schweiz zugelassenen Medikamente. In den USA sind bereits Präparate verfügbar, die das Fortschreiten verlangsamen können. Heilen kann man damit zwar leider nicht, trotzdem wird intensiv daran geforscht, auch für diese Form bald wirksame Therapien zu entwickeln.

Was möchten Sie den Leser:innen zum Schluss mitgeben?

Ich finde es wichtig, sich bewusst zu machen, wie selbstverständlich gutes Sehen für uns ist. Wir nehmen unsere Umwelt zu 80% über die Augen wahr. Gerade jüngere Menschen denken selten über mögliche Erkrankungen nach. Viele Augenerkrankungen wie etwa der grüne Star verursachen anfangs keine Beschwerden. Sie werden oft erst entdeckt, wenn es bereits zu spät ist. Deshalb ist es essenziell, regelmässig Vorsorgeuntersuchungen beim Augenarzt oder bei der Augenärztin durchzuführen. Wer seine Augen frühzeitig kontrollieren lässt, kann sich später oft aufwendige Behandlungen ersparen.

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