Arthrose oder Rotatorenmanschette: Wenn die Schulterprothese das Leben verändert

Dr. med. Paolo Fornaciari
Dr. med. Paolo Fornaciari
Rotatorenmanschette

Anhaltende Schmerzen, stark eingeschränkte Beweglichkeit – die fortgeschrittene Schulterarthrose und die irreparable Ruptur der Rotatorenmanschette sind zwei Erkrankungen, die das Alltagsleben stark beeinträchtigen. Wenn konservative Therapien an ihre Grenzen stossen, kann die Implantation einer Schulterprothese in Betracht gezogen werden. Doch nach welchen Kriterien ist ein solcher Eingriff zu empfehlen? Welche Unterschiede gibt es zwischen Arthrose und einer Rotatorenmanschettenruptur? Zur Klärung dieser beiden Fragestellungen haben wir uns mit Dr. Paolo Fornaciari, selbstständiger Facharzt für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Schulter- und Ellenbogenchirurgie und Sportmedizin, getroffen. | Adeline Beijns

Dr. Fornaciari, was genau sind die Unterschiede zwischen einer fortgeschrittenen Schulterarthrose und einer irreparablen Rotatorenmanschettenruptur, in Bezug auf die Symptome und die Auswirkungen auf den Alltag?

Bei der primären fortgeschrittenen Schulterarthrose kommt es zu einem starken, dumpfen und auch im Ruhezustand anhaltenden Schmerz, der sich bei Bewegung verstärkt, begleitet von einer morgendlichen Steifigkeit, die einfache Handgriffe wie Ankleiden oder das Greifen nach Gegenständen in der Höhe einschränkt. Massive Rupturen der Rotatorenmanschette können bei starker Sehnenretraktion und fortgeschrittener Muskelatrophie in einigen Fällen irreparabel werden. Sie verursachen dann akute

Schmerzen, vor allem bei Nacht, mit häufigem Aufwachen, Kraftverlust und/oder einer «Pseudoparalyse», die es einem unmöglich macht, sich zu kämmen, den Arm zu heben oder den Gürtel anzulegen. Diese beiden Erkrankungen können jedoch ineinander übergehen oder – vor allem bei einer alten, irreparablen Ruptur – zu einer sekundären Arthrose, der sogenannten Cuff-Arthropathie, führen, die die Symptomatik vermischt. Auf jeden Fall muss darauf hingewiesen werden, dass die beiden Erkrankungen, vor allem in den ersten Monaten oder Jahren, häufig abwechselnd auftreten, mit fast asymptomatischen Perioden und sehr intensiven, fast unerträglichen Symptomphasen.

Aufgrund welcher medizinischen und klinischen Kriterien empfehlen Sie in diesen zwei unterschiedlichen Situationen eine Schulterprothese?

Bei fortgeschrittener Arthrose schlage ich eine Prothese vor, wenn der zu Einschränkungen führende Schmerz trotz sechsmonatiger ärztlicher Behandlung und Rehabilitation andauert und die Steifigkeit alltägliche Aktivitäten beeinträchtigt. Die Bildgebung zeigt dann einen starken Knorpelverschleiss. Die Wahl des Prothesenmodells – anatomisch oder invers – richtet sich nach dem Alter, dem Aktivitätsniveau und den Bedürfnissen der Patient:innen. Bei irreparablen Manschettenrupturen nach drei Monaten konservativer Behandlung ohne Besserung, wenn der Schmerz oder die «Pseudoparalyse» andauert und die MRT eine starke Sehnenretraktion und eine Muskelatrophie bestätigt, empfehle ich eine inverse Prothese.

Welches sind die grundlegenden technischen Unterschiede zwischen einer anatomischen Prothese für eine Arthrose und einer inversen Prothese für eine irreparable Ruptur?

Die neuesten Generationen von anatomischen Prothesen bilden die Anatomie der Schulter originalgetreu ab: Sie ersetzen den abgenutzten Humeruskopf durch eine metallische Kugelfläche und bilden eine Gleitfläche in der Gelenkhöhle nach. Sie erfordern eine intakte und funktionsfähige Rotatorenmanschette, um Stabilität und Beweglichkeit zu gewährleisten. Die inverse Prothese verändert die Gelenkgeometrie hingegen radikal: Eine Gelenkkugel wird am Schulterblatt und eine Gelenkpfanne am Oberarm befestigt. Dies gleicht das Fehlen oder die Beeinträchtigung der Rotatorenmanschette aus, indem der Deltamuskel deren Funktion übernimmt und die Schulterbewegungen effektiv wiederherstellen kann.

Können Sie uns im Detail erklären, wie die Operation zur Implantation einer Schulterprothese abläuft?

Der chirurgische Eingriff zur Implantation einer Schulterprothese dauert unter Vollnarkose etwa eine Stunde und wird oft zusammen mit einer interskalenären Blockade durchgeführt, um Schmerzen, Blutungen und Muskelverspannungen zu begrenzen. Mittels hochpräziser präoperativer 3D-Bildgebung plane ich jeden Schritt und optimiere die Positionierung der Elemente.

Konkret beginne ich an der Schulter mit einem anterolateralen Einschnitt, lege den Humeruskopf und die Gelenkpfanne frei und entferne dann den geschädigten Knorpel und Knochen sorgfältig. Anschliessend setze ich die Humerus- und Schulterblatt-Ersatzflächen ein (je nach Indikation anatomisch oder invers) und verschliesse die Eingriffsstelle dann sorgfältig. Moderne Techniken garantieren einen kurzen Eingriff, hohe Präzision, schnelle Regeneration und ein geringes Komplikationsrisiko.

Welche spezifischen funktionalen Ergebnisse können Ihre Patient:innen nach der Implantation einer Schulterprothese in jeder dieser beiden Situationen erwarten?

Die richtige Indikation sorgt für gute Resultate. Bei einer Arthrose, die mit einer anatomischen Prothese behandelt wird, erreichen die meisten Patient:innen eine ausgezeichnete, oft nahezu normale Beweglichkeit und eine anhaltende Schmerzlinderung. Auch bei irreparablen Rupturen, die mit einer inversen Prothese behandelt werden, ist die Funktionsverbesserung ausgeprägt: Viele Patient:innen nehmen verschiedenste Sportarten wieder auf. Manche auch Sportarten mit einem grossen Bewegungsumfang, wie etwa Golf. Noch wichtiger ist, dass sie im Alltag wieder selbstständig zurechtkommen und keine Schmerzmedikamente mehr einnehmen müssen. Das verbessert ihre Lebensqualität erheblich.

Wie sieht die Rehabilitation nach dem Eingriff konkret aus?

Bereits am nächsten Tag beginnt die Rehabilitation: aktive und freie Mobilisierung der Hand und des Ellenbogens mit sanfter, passiver und dann assistierter, aktiver Mobilisation der Schulter zur Integration des Implantats. Nach fünf bis sechs Wochen erfolgt die aktive Mobilisation mit dem vollen Bewegungsumfang. Ab der zehnten Woche beginnt das physiotherapeutisch angeleitete Krafttraining. Die vollständige Selbstständigkeit und Wiederaufnahme der ersten sportlichen Betätigung wird je nach Beschwerdebild innerhalb von drei bis vier Monaten erreicht. Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle für die Optimierung der Operationsergebnisse.

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