

Die psychosexuelle Therapie, die zunehmend als ganzheitlicher und empathischer Ansatz anerkannt wird, befasst sich sowohl mit psychischen und sexuellen Bedürfnissen der Patient:innen. Sie bietet spezifische Instrumente, um Menschen mit sexuellen oder Beziehungsproblemen zu begleiten. Diese hängen oft mit emotionalen Blockaden, Traumata oder einschränkenden Denkmustern zusammen. Wir sprachen darüber mit Dr. Lakshmi Waber, Facharzt FMH für Psychiatrie und ausgebildeter Sexologe, sowie Präsident und Ausbildungsleiter der Schweizerischen Gesellschaft für Sexologie. | Adeline Beijns
Was ist psychosexuelle Therapie und wie unterscheidet sie sich von einer traditionellen Psychotherapie?
Die psychosexuelle Therapie, auch Sexualtherapie oder sexologische Therapie genannt, berücksichtigt sowohl die psychologischen Aspekte als auch die körperlichen und beziehungsbezogenen Aspekte der Sexualität. In einer allgemeineren Psychotherapie, bei der man verschiedenen Modellen folgen kann (Psychoanalyse, CBT, systemisch usw.), konzentriert man sich häufig auf die persönliche Geschichte, Verhaltensmuster oder innere Konflikte.
Die sexuelle Sphäre hingegen wird oft nur am Rande oder nur dann angesprochen, wenn der Patient oder die Patientin sie von sich aus anspricht. In der Sexualtherapie wird die Sexualität zum Kern der therapeutischen Arbeit: Sie wird gründlich erforscht und die medizinischen, physiologischen, beziehungsbezogenen und sogar umweltbedingten Faktoren, die mit der jeweiligen Störung oder Schwierigkeit zusammenhängen, werden einbezogen.
Der Sexualtherapeut oder die Sexualtherapeutin kann jedoch nicht immer alle Probleme der Betroffenen behandeln, insbesondere wenn diese in den Zuständigkeitsbereich anderer Fachgebiete fallen (Endokrinologie, Gynäkologie, Urologie usw.). Um eine umfassende und kohärente Behandlung anbieten zu können, ist die Vernetzung mit anderen Gesundheitsfachkräften oft von entscheidender Bedeutung. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es, alle möglichen Ursachen einer sexuellen Störung oder einer intimen Schwierigkeit besser zu erfassen und optimal darauf zu reagieren.
Was sind die häufigsten Gründe für eine Sexualtherapie?
Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Manche Menschen kom- men wegen einer verminderten Libido, andere wegen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie, Vaginismus) oder Problemen mit der Erektion oder Ejakulation. Ich behandle auch Personen, die unter Sexsucht oder Hypersexualität leiden, sowie Frauen mit Anorgasmie, d. h. Schwierigkeiten oder Unfähigkeit, einen Orgasmus zu erreichen. Darüber hinaus suchen viele Paare Rat wegen sexueller Unzufriedenheit, Kommunikationsschwierigkeiten oder mangelnder Intimität. Schliesslich können sich auch Depressionen oder Angstzustände auf die Sexualität auswirken und Anlass für eine Beratung sein.
Warum ist es wichtig, sexuellen Aspekte in einer psychologischen oder psychiatrischen Behandlung zu berücksichtigen?
Die Sexualität ist ein wichtiger Pfeiler unseres allgemeinen Wohlbefindens und unserer Intimität: Sie beeinflusst das Selbstwertgefühl, die Qualität der Beziehungen zu anderen Menschen und die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Wenn wir die sexuelle Sphäre ignorieren, vernachlässigen wir einen grundlegenden Aspekt unseres mentalen und emotionalen Gleichgewichts. Viele psychische Störungen (und somatische Erkrankungen) wirken sich auf die Libido, das Lustempfinden oder die Partnerschaft aus. In der psychologischen Behandlung ist es daher wichtig, sexuelle Fragen offen anzusprechen, da sie ein wertvoller Indikator für die psychische Gesundheit der Betroffenen sein können.
Welche Arten von Beziehungsstörungen oder -schwierigkeiten können von einem psychosexuellen Ansatz profitieren?
Praktisch alle Schwierigkeiten, die die Sexualität betreffen oder beeinflussen, können durch einen psychosexuellen Ansatz behandelt werden. Dazu gehören sexuelle Funktionsstörungen (Anorgasmie, vorzeitiger Samenerguss, Erregungs- oder Luststörungen), Schmerzen beim Sex sowie Sucht und Traumata im Zusammenhang mit Sexualität. Auf der Beziehungsebene können auch Kommunikationsprobleme oder gegenseitiges Unverständnis in der Partnerschaft behandelt werden. Ziel der Sexualtherapie ist die Wiederherstellung eines entspannten und konstruktiven Dialogs über Sexualität und Intimität.
Wie läuft eine psychosexuelle Therapiesitzung ab und welche spezifischen Methoden verwenden dabei eingesetzt?
In den ersten Gesprächen geht es darum, das Anliegen und die medizinische, psychologische und sexuelle Vorgeschichte zu verstehen und die Faktoren zu erkunden, die zur sexuellen Störung oder Beziehungsproblematik beitragen können. Anschliessend wenden wir verschiedene Ansätze an, um die Art und Weise zu erforschen, wie die Person Intimität erlebt (Beziehung, Emotionen, Körper, Fantasie), und um die Fragen oder Konflikte zu erkunden.
Wir beschäftigen uns auch mit der Erotisierung des Selbst und des Gegenübers, der Beziehung, wobei wir besonders darauf achten, die Gedanken rund um Sexualität und Lust zu erspüren und in Worte zu fassen. Das Verbalisieren ist zentral: Wir ermutigen die Betroffenen oder das Paar, ihre Gefühle, Bedürfnisse und Ängste auszudrücken. So können schrittweise Fortschritte auf dem Weg zu einem besseren intimen und partnerschaftlichen Wohlbefinden erzielt werden.
Welche Botschaft möchten Sie denjenigen auf den Weg geben, die zögern, sich mit intimen oder Beziehungsproblemen an eine Fachperson zu wenden?
Intime Beziehungen haben einen grossen Einfluss auf unser seelisches Wohlbefinden und können sich sogar auf unsere körperliche Gesundheit auswirken. Bei Problemen, Missverständnissen oder dem Bedürfnis nach Begleitung kann die Konsultation einer in psychosexologisch ausgebildeten Fachperson sehr hilfreich sein, um die eigene Sexualität besser zu verstehen und zu leben. Es ist wichtig zu betonen, dass die erste Fachperson, die Sie aufsuchen, nicht unbedingt die richtige für Sie sein muss. Zögern Sie also nicht, mehrere Therapeut:innen aufzusuchen, bis Sie eine Person gefunden haben, mit der Sie sich wohlfühlen.
