Mangelernährung im Alter: wenn Gebrechlichkeit Druckgeschwüren Tür und Tor öffnet

Mangelernährung

In den letzten Jahren hat die Mangelernährung älterer Menschen in medizinischen Kreisen zunehmend Besorgnis erregt. Es handelt sich um ein unauffälliges, oft unterschätztes Phänomen, das den Körper schwächt und das Risiko von Komplikationen erhöht, insbesondere das Auftreten von Druckgeschwüren (Dekubitus). Bei Mangelernährung greift der Körper auf seine Reserven zurück, was die Wundheilung verlangsamen und Hautverletzungen verschlimmern kann. Doch wie erkennt man dieses Problem? Warum tritt es bei älteren Menschen so häufig auf? Und vor allem: Welche Lösungen gibt es, um diesen schmerzhaften und potenziell schwerwiegenden Wunden vorzubeugen? | Adeline Beijns

Mangelernährung: ein unterschätztes Gesundheitsrisiko

Entgegen der landläufigen Meinung ist Mangelernährung mehr als nur ein Mangel an Nahrung. Sie betrifft vor allem die Qualität der Ernährung: Die Zufuhr von Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Kalorien muss auf die spezifischen Bedürfnisse der Person abgestimmt sein. Studien zufolge sind zwischen 15 und 30% der zu Hause lebenden älteren Menschen unter- oder mangelernährt. Bei den Menschen, die im Krankenhaus leben, steigt diese Zahl sogar bis auf 50%¹.

Eine Mangelernährung kann sich in Gewichtsverlust, unerklärlicher Müdigkeit oder Muskelschwäche äussern – alles Anzeichen, die unbemerkt bleiben oder mit den «normalen» Auswirkungen des Alterns verwechselt werden können. Frau Renée, 85 Jahre alt, berichtet, dass sie nach dem Tod ihres Mannes seit einigen Monaten keinen Hunger mehr verspürt. Nach und nach verlor sie fast 10 kg und ihre Haut wurde rissig. Als sie nach einem Hüftbruch bettlägerig wurde, entwickelte sie ein Druckgeschwür am Kreuzbein, das trotz lokaler Pflege erst nach Wochen heilte. Ihre Situation verbesserte sich, als ihr medizinisches Team sie mit proteinreichen Nahrungsergänzungsmitteln versorgte und darauf achtete, dass sie sich jeden Tag ein wenig bewegte.

Druckgeschwüre (Dekubitus)

Druckgeschwüre oder Dekubitus sind Wunden, die durch langanhaltenden Druck auf die Haut entstehen, meist an knöchernen Stellen wie dem Kreuzbein, den Fersen oder der Hüfte. Besonders gefährdet sind bettlägerige oder im Rollstuhl sitzende Senior:innen, da sie sich weniger bewegen und ihre Haut mit zunehmendem Alter dünner wird. Im schlimmsten Fall können die Wunden auf die Muskeln oder sogar auf die Knochen übergreifen, was eine komplexe Pflege und eine langwierige medizinische Betreuung erforderlich macht.

Ein Duo infernale: Mangelernährung und Druckgeschwüre

Hinter diesem Phänomen verbergen sich gleich mehrere Faktoren: Appetitlosigkeit, Zahnprobleme, soziale Isolation, Schwierigkeiten beim Einkaufen oder Kochen, Mehrfachmedikation, die den Geschmack oder das Hungergefühl beeinträchtigt… Die Folge ist, dass der Körper weniger Nährstoffe erhält, die für die Regeneration des Gewebes unerlässlich sind. Durch die Mangelernährung nimmt auch die Muskelkraft ab, was die Mobilität weiter einschränkt. Diese körperliche Anfälligkeit ist ein idealer Nährboden für die Entstehung von Druckgeschwüren, da die Haut nicht mehr über die notwendigen Ressourcen verfügt, um sich gegen Druck zu wehren und im Falle einer Wunde schnell zu heilen.

Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation zufolge beträgt die Prävalenz von Druckgeschwüren in Langzeitpflegeeinrichtungen bis zu 17%², was für das Pflegepersonal eine echte Herausforderung darstellt. Diese Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit gezielterer Präventions- und Früherkennungsstrategien, insbesondere durch eine bessere Schulung des Pflege- und Gesundheitspersonals in der Früherkennung von Mangelernährung und Druckgeschwüren.

Vorbeugung und Behandlung von Dekubitus

Um der Entstehung von Druckgeschwüren vorzubeugen oder ihr Fortschreiten einzudämmen, empfiehlt sich ein regelmässiger Positionswechsel und die Verwendung einer geeigneten Matratze. Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle, denn eine ausreichende Versorgung mit Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen trägt dazu bei, die Muskelmasse zu erhalten, eine gute Durchblutung zu fördern und den Heilungsprozess zu unterstützen. Einfache Massnahmen wie die Anreicherung der Mahlzeiten mit Proteinen (mageres Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte), eine abwechslungsreiche Auswahl an Gemüse und Obst sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr können einen grossen Unterschied machen.

Welche Lösungen gibt es?

Im Falle eines Dekubitus kann das Pflegepersonal eine Reihe von Behandlungsmethoden anwenden, um die Heilung zu beschleunigen. Sanfte und gründliche Lokalpflege reinigt und schützt die verletzte Stelle. In bestimmten Situationen kann eine Unterdrucktherapie in Betracht gezogen werden. Dabei wird ein spezieller Verband an ein Gerät angeschlossen. Dieses erzeugt ein Vakuum, um den Abtransport von Flüssigkeit zu fördern und das Gewebe zu stimulieren.

Obwohl dieser Ansatz interessante Perspektiven bietet, muss er in eine Gesamtstrategie eingebettet sein, die eine Überwachung der Ernährung, regelmässige Positionswechsel und eine sorgfältige Überwachung der Haut umfasst. Darüber hinaus ist die psychologische und soziale Unterstützung von grosser Bedeutung: Eine persönliche Betreuung, sei es durch die Familie, Haushaltshilfen oder Pflegepersonal, kann eine Spirale der Isolation und des Desinteresses am Essen verhindern. Auch eine regelmässige Untersuchung auf Mangelernährung bei Arztbesuchen zur Früherkennung ist ratsam, z. B. durch regelmässige Gewichtsmessung und Beurteilung der Körperzusammensetzung.

Vergessen Sie nicht

Mangelernährung ist ein gefährlicher Feind für ältere Menschen, denn sie schwächt den Körper und erhöht das Risiko von Druckgeschwüren. Dabei können einfache Massnahmen wie die Überwachung der Zusammensetzung der Mahlzeiten, die Aufrechterhaltung starker sozialer Bindungen oder die regelmässige Kontrolle des Hautzustands viel bewirken. Die Lösungen reichen von der richtigen medizinischen Versorgung bis hin zu modernsten Techniken wie der Unterdrucktherapie. Im Zentrum all dieser Massnahmen steht eine ausgewogene Ernährung, die nach wie vor ein unverzichtbarer Pfeiler ist, um unseren Senior:innen ein gesundes Altern zu ermöglichen und diesen oft unterschätzten Komplikationen vorzubeugen.

Referenzen:
1. https://www.has-sante.fr/jcms/c_5446/fr/strategie-de-prise-en-charge-en-cas-de-denutrition-proteino-energetique-chez-la-personne-agee et https://sfgg.org/.
2. European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP), National Pressure Injury Advisory Panel (NPIAP) and Pan Pacific Pressure Injury Alliance (PPPIA). Prevention and Treatment of Pressure Ulcers/Injuries: Clinical Practice Guideline. 2019. https://internationalguideline.com et https://www.who.int.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Abonnieren Sie die Printversion von Gesundheitsecho, um Zugriff auf alle Informationen zum Thema zu haben: Erfahrungsberichte, Tests, nützliche Adressen, Infografiken und mehr.
Also warten Sie nicht länger!
CHF39.00
Oder abonnieren Sie direkt 8 Ausgaben!
CHF78.00

Loading

Teilen auf

Facebook

Weitere Artikel

Heuschnupfen: Wenn Pollen unseren Alltag beeinträchtigen

Heuschnupfen, auch saisonale allergische Rhinokonjunktivitis genannt, ist eine Erkrankung, von der ein erheblicher Teil der Schweizer Bevölkerung betroffen ist. Laut vorliegenden Daten leiden etwa 20% der Schweizer:innen an einer Pollenallergie1. Diese hohe Prävalenz unterstreicht, wie wichtig es ist, die Symptomatik, die Profile der am stärksten betroffenen Patient:innen, die vorbeugenden Massnahmen sowie die möglichen Komplikationen, die mit dieser Allergie verbunden sind, zu verstehen. Um diese Aspekte zu beleuchten, haben wir Dr. med. Lionel Arlettaz, Leitender Arzt der Abteilung Immuno-Allergologie am Zentralinstitut der Spitäler in Sitten, befragt.

Loading

Mehr lesen »

Romain, der ewige Mückenmagnet

Romain, 28 Jahre alt, liebt sein kleines Haus in der Nähe eines Flusses, umgeben von Natur. Morgens weckt ihn das Plätschern des Wassers, abends geniesst er den Sonnenuntergang auf seiner Terrasse. Alles könnte so idyllisch sein, doch diese mühsamen Mücken machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Warum immer er von den Mücken gestochen wird, kann er sich nicht erklären. Aber irgendwie scheint er der Hauptgang ihres Buffets zu sein. Wenn er mit seinen Freund:innen draussen abhängt, kann er wetten, dass er am Ende mindestens zehn Mal mehr Stiche hat als alle anderen zusammen.

Loading

Mehr lesen »

Wenn der Sommer summt

Mit Frühling und Sommer kommen die warmen Tage, die langen Abende und die perfekte Zeit für Outdoor-Abenteuer. Egal ob Grillpartys mit Freund:innen, entspannte Spaziergänge in der Natur oder ausgedehnte Wanderungen. Jetzt heisst es, die Sonne und die frische Luft in vollen Zügen zu geniessen. Der Sommer bietet all die angenehmen Dinge, auf die wir uns das ganze Jahr über freuen: Sonnenschein, entspannte Stunden im Freien und das Gefühl, den Alltag hinter sich zu lassen. Wäre da nicht eine kleine, summende Schattenseite: Mücken. 

Loading

Mehr lesen »

Wenn ein Glukosesensor Noisette zu Hilfe kommt

Jacqueline, 42 Jahre alt, hat sich schon immer als bedingungslose Tierliebhaberin betrachtet. Anfang Januar bemerkt sie, dass Noisette, einer ihrer mittlerweile 13½-jährigen Kater, ein ungewöhnliches Verhalten zeigt: Er trinkt immer mehr Wasser, scheint es unablässig zu fordern und wirkt beinahe besessen davon, stets Zugang zu Wasser zu haben. Beunruhigt über diesen ungewöhnlichen Durst vereinbart sie einen Termin beim Tierarzt, um Klarheit zu schaffen.

Loading

Mehr lesen »

Der Schlüssel zu einem gut verwalteten Diabetes

Diabetes betrifft Millionen von Menschen auf der ganzen Welt und die Behandlung dieser Krankheit hängt von einem feinen Gleichgewicht zwischen medizinischer Betreuung, Technologie und Patientenengagement ab. In Lausanne setzt Dr. med. Daniela Sofra, eine engagierte Endokrinologin und Diabetologin, auf Teamarbeit. In diesem Interview beleuchtet sie die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen und die bahnbrechende Rolle, die CGM-Sensoren (Continuous Glucose Monitoring) im Leben der Patient:innen spielen.

Loading

Mehr lesen »