Die Menopause trifft jede Frau – aber nicht jede gleich

Prof. Dr. Petra Stute
Prof. Dr. Petra Stute

Manche merken kaum etwas, andere sind über Jahre stark beeinträchtigt: Die Wechseljahre sind für viele Frauen eine Phase der Unsicherheit. Im Interview erklärt Prof. Dr. Petra Stute, Gynäkologin am Inselspital Bern, warum Müdigkeit oft unterschätzt wird, welche Rolle Hormone für den Schlaf spielen – und wann eine medizinische Begleitung besonders wichtig ist. | Anna Meier

Frau Professor Stute, Müdigkeit gilt nicht als typisches Wechseljahrssymptom, wird aber häufig genannt. Welche Rolle spielen die Hormone dabei?

Müdigkeit ist ein sehr unspezifisches Symptom – und nicht allein den Wechseljahren zuzuordnen. Es kann viele Ursachen haben: Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, aber auch Schilddrüsenprobleme. Deshalb ist es wichtig, den Kontext zu betrachten. Viele Frauen berichten davon, gerade in der Perimenopause. Dennoch: Müdigkeit allein ist kein verlässlicher Hinweis auf die hormonelle Umstellung, sondern ein Symptom unter vielen, das individuell abgeklärt werden muss.

Gerade die Perimenopause bringt oft diffuse Beschwerden wie Erschöpfung oder Stimmungsschwankungen. Wird diese Phase häufig übersehen oder fehldiagnostiziert?

Ja, das kommt vor. Die Perimenopause beginnt meist Anfang bis Mitte 40 und ist eine Übergangsphase mit schwankenden Hormonwerten. Die Symptome treten oft phasenweise auf, verschwinden wieder und können sehr subtil sein – etwa Zyklusveränderungen, Gereiztheit oder Schlafstörungen. Nicht selten denken Ärzt:innen zunächst an eine Depression oder behandeln mit Schlafmitteln – dabei liegt die Ursache in der hormonellen Umstellung. Hier ist Aufklärung wichtig: Die sogenannte «menopausale Transition» ist individuell unterschiedlich und braucht manchmal Geduld – und genaues Hinschauen.

Hitzewallungen gehören zu den häufigsten und unangenehmsten Symptomen. Was passiert dabei im Körper?

Im Hypothalamus im Gehirn sitzt unser thermoregulatorisches Zentrum; hier spielen Östrogene eine wichtige Rolle. Sie wirken hemmend auf bestimmte Nervenzellen. Wenn der Östrogenspiegel in der Menopause sinkt, gerät dieses Zentrum aus dem Gleichgewicht – der Körper reagiert über, etwa durch plötzliches Schwitzen oder Hitzeschübe. Im Durchschnitt dauern Hitzewallungen rund 7,5 Jahre, bei manchen Frauen aber über 20 Jahre. Warum das so ist, weiss man nicht genau – vermutlich spielen genetische Faktoren eine Rolle. Es gibt aber auch begünstigende Umstände: Diabetes, Übergewicht oder Rauchen erhöhen das Risiko. Positiv wirken sich dagegen ein hoher Bildungsgrad und ein stabiles soziales Umfeld aus.

Auch der Schlaf ist oft gestört. Liegt das an den Hormonen – oder an den Begleiterscheinungen wie Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen?

Beides spielt eine Rolle. Wer nachts stark schwitzt oder unter depressiven Verstimmungen leidet, schläft natürlich schlechter. Aber auch hormonell gibt es klare Zusammenhänge: Progesteron fördert den Tiefschlaf – wenn es in den Wechseljahren weniger wird, bleibt der Schlaf oberflächlich. Gleichzeitig beeinträchtigt der Östrogenmangel die Schlafqualität zusätzlich. Wer eine Hormontherapie erhält, bekommt in der Regel beides: Östrogen und Progesteron – das kann den Schlaf deutlich ver- bessern.

Viele Frauen klagen in den Wechseljahren über Brain Fog. Was versteht man darunter?

Etwa 40-60% der Frauen berichten in der Perimenopause über Konzentrations probleme, Wortfindungsstörungen oder Vergesslichkeit – auch bekannt als Brain Fog. In Tests schneiden sie meist völlig normal ab. Schlafstörungen, Depressionen, Medikamente oder Schilddrüsenprobleme können diese Symptome verstärken. Wichtig ist, die Ursachen genau zu klären und nicht alles den Wechseljahren zuzuschreiben.

Trotz aller Unterschiede – gibt es typische Symptomprofile oder Faktoren, die beeinflussen, wie stark Frauen betroffen sind?

Es gibt durchaus Muster: Manche Frauen leiden vor allem an psychischen Symptomen wie Reizbarkeit oder Niedergeschlagenheit, andere an körperlichen Beschwerden wie Gelenkschmerzen oder Schlaflosigkeit. Die sogenannte Menopause Rating Scale (MRS) erfasst diese verschiedenen Bereiche. Wie stark die Symptome empfunden werden, hängt aber auch vom individuellen Lebensstil, von genetischen Faktoren und sozialen Ressourcen ab. Zudem gibt es bestimmte «Trigger», die Symptome verstärken können – etwa Stress, Alkohol oder unregelmässiger Schlaf.

Was gilt bei einer durch Therapie induzierten Menopause – etwa nach einer onkologischen Behandlung?

Das ist eine besondere Herausforderung. Frauen, die etwa nach Brustkrebs antihormonell behandelt werden, erleben oft eine sehr plötzliche und intensive Menopause – und dürfen meist keine Hormone einnehmen. Hier müssen wir individuell schauen, welche Beschwerden im Vordergrund stehen und wie wir sie behandeln können – mit nicht-hormonellen Optionen, pflanzlichen Präparaten oder auch gezielter Lebensstilberatung. Wichtig ist ausserdem, die Knochengesundheit und das Herz-Kreislauf-Risiko im Blick zu behalten.

Welche Rolle spielt die medizinische Begleitung in dieser Phase? Und ab wann sollte man ärztliche Hilfe suchen?

Grundsätzlich gilt: Wenn die Menopause vor dem 45. Lebensjahr eintritt, sprechen wir von einer «frühen Menopause» – hier ist eine Hormonersatztherapie oft auch aus präventiven Gründen angezeigt, etwa zur Vorbeugung von Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch unabhängig vom Alter: Wenn Beschwerden stark belasten oder den Alltag einschränken, sollte man sich Hilfe holen. Neben Hormonen gibt es heute viele Therapieansätze, auch im komplementären Bereich. Entscheidend ist der Leidensdruck der Frau – und dass sie ernst genommen wird.

Wie häufig behandeln Sie Patientinnen in den Wechseljahren in Ihrer Sprechstunde und welche Altersgruppe sehen Sie am häufigsten?

Ich behandle täglich Frauen mit klimakterischen Beschwerden. Die meisten sind zwischen 45 und 58 Jahre alt. Alle Patientinnen füllen bei uns den Menopause Rating Scale aus – ein validier- ter Fragebogen, der die Intensität der Symptome erfasst. Am häufigsten nennen Frauen zentralnervöse Symptome wie de- pressive Verstimmungen, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, aber auch kognitive Beschwerden.

Mein Wunsch für alle Frauen ist es, zu leben und nicht nur «durchzuhalten». Die Menopause ist eine körperliche Veränderung, die auch soziale, emotionale und berufliche Auswirkungen nach sich zieht. Deswegen ist es so wichtig, dass wir den Symptomen aktiv begegnen, um die Gesundheit der Frauen zu fördern und zu erhalten.

Welche Rolle spielt die gesellschaftliche Wahrnehmung der Menopause für betroffene Frauen?

Eine grosse. In Kulturen, in denen das Alter positiv besetzt ist und Frauen mit Erfahrung wertgeschätzt werden, erleben viele die Menopause als weniger belastend. In westlichen Gesellschaften hingegen wird das Thema oft tabuisiert oder problematisiert – das beeinflusst auch das subjektive Erleben. Deshalb ist es wichtig, offen über die Wechseljahre zu sprechen, Wissen zu vermitteln und Frauen zu ermutigen, sich Unterstützung zu holen. Die Menopause ist keine Krankheit – aber sie verdient medizinische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

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