Besser atmen, besser leben – so geht’s

Fabienne Frey

Die Atmung hat einen erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden, doch ihr Potenzial wird selten genutzt. Wie gesundes Atmen funktioniert und wie es sich einfach in den Alltag integrieren lässt. | Fabienne Frey, SRF Puls

Stress beschleunigt die Atmung

Unser Körper denkt, wir müssen kämpfen oder fliehen. «Über die letzten Jahrzehnte atmen wir immer schneller. Wenn wir ständig schnell atmen, bleiben wir in diesem hektischen Gefühl drin und kommen nicht zur Ruhe», sagt Elisabeth Balint, leitende Ärztin der Privatklinik Meiringen.

Der Schlüssel zu mehr Ruhe ist die Atmung selbst – doch wie gelingt das? Damit wir sie gezielt einsetzen können, braucht es zuerst ein Verständnis dafür, wie die Atmung mit dem Nervensystem zusammenhängt. Elisabeth Balint sagt: «Um die Ruhephasen zu fördern, müssen wir dem Parasympathikus mehr Raum geben». Der Parasympathikus ist der für Erholung zuständige Teil des vegetativen Nervensystems.

Die Rolle des Bauches

Eine langsame Atmung bis tief in den Bauch aktiviert den Parasympathikus. Optimalerweise ist die Ausatmung dabei länger als die Einatmung, so wird die Stimulation verlängert. Mehr Ruhe entsteht, Stress wird reduziert. Zugleich verbessert sich die Sauerstoffversorgung der Zellen. Regelmässiges Üben zahlt sich aus. Sogar die Herzfrequenzvariabilität kann von einer tieferen Atemfrequenz profitieren. Diese zeigt, wie flexibel unser Herz schlagen kann. Je höher die Variabilität, desto anpassungsfähiger sind wir an Stresssituationen und desto schneller erholen wir uns davon.

Die Vorzüge der verlangsamten Atmung werden im medizinischen Bereich genutzt. Die Psychosomatikerin Elisabeth Balint integriert deren beruhigende Wirkung zum Beispiel in der Therapie von Angstzuständen. Auch bei Bluthochdruck oder zur Regulierung der Immunantwort wird langsames Atmen erfolgreich eingesetzt.

Pausen trainieren und die Nase nutzen

Es lohnt sich, auch der Zeit zwischen zwei Atemzügen mehr Beachtung zu schenken. Mit ihren Patientinnen und Patienten übt die Atemtherapeutin Brigitte Ruff, Atempausen zu verlängern. «Wenn ich nach einem Atemzug nicht sofort wieder einatme, generiere ich mehr Ruhe und bringe mein Nervensystem in einen gesunden Zustand», so Ruff.

Für eine gesunde Atmung ist nicht zuletzt die Nase zentral. Atemtherapeutin Ruff ist eine Verfechterin der Nasenatmung: «Der Mund ist zum Essen und Trinken da, nicht zum Atmen. Nur mit der Nase können wir das ganze Atemvolumen nutzen.» Die Nase filtert ausserdem Staub- und Schmutzpartikel aus der Luft heraus. Damit kommt ihr eine wichtige Schutzfunktion für die Lunge zu.

Hauptsache dranbleiben

Welche Atemübung wir schlussendlich machen, spiele keine so grosse Rolle, meint Elisabeth Balint. «Viel wichtiger ist, dass ich überhaupt mit der Atmung arbeite und eine für mich passende Technik finde, an welcher ich dranbleibe.» Um Übungen nachhaltig in den Alltag zu integrieren, helfen Ankerpunkte. «Zum Beispiel kann ich jeweils, wenn ich die Farbe Rot sehe oder auf den Bus warte, eine Atemübung machen», empfiehlt Balint.

Mit der Atmung haben wir ein Tool zur Hand, das immer und überall dabei ist. Unsere lebenswichtige Körperfunktion können wir willentlich steuern – das zu nutzen, lohnt sich allemal.

Einfache Atemübungen für den Alltag

• Viele kleine Atem pausen wirken: Beruhigend bei Angst und Panik und entspannen die Muskeln, sagt Atemexpertin Brigitte Ruff. So geht’s: Sanft ausatmen durch die Nase, anschliessend für zwei bis fünf Sekunden den Atem anhalten. Nun vier Atemzüge ruhig und normal durch die Nase weiter atmen. Drei bis fünf Minuten lang wiederholen.

• Langsame Taktatmung: Gegen Stress, für mehr Ruhe. So geht’s: Beim Einatmen bis vier zählen, beim Ausatmen bis sechs (oder sieben) zählen und das Ganze elf Minuten lang. Hierfür sind Apps hilfreich, wie zum Beispiel Breath Ball.

• 4-7-8: Entspannt und hilft beim Einschlafen. So geht’s: Vier Sekunden durch die Nase einatmen, sieben Sekunden die Luft anhalten, acht Sekunden durch den Mund ausatmen. Viermal durchführen, morgens und abends. Nach sechs Wochen tritt der volle Effekt ein.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Abonnieren Sie die Printversion von Gesundheitsecho, um Zugriff auf alle Informationen zum Thema zu haben: Erfahrungsberichte, Tests, nützliche Adressen, Infografiken und mehr.
Also warten Sie nicht länger!
CHF39.00
Oder abonnieren Sie direkt 8 Ausgaben!
CHF78.00

Loading

Teilen auf

Facebook

Weitere Artikel

Wenn der Körper sich umstellt

Viele Frauen merken es an Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen oder Hitzewallungen: Der Körper stellt sich um. Aber was genau passiert in dieser Zeit? Was hilft gegen die Beschwerden und wann könnte auch Testosteron eine Rolle spielen? Im Interview teilt Dr. med. Kathrin Kern, Fachärztin FMH für Gynäkologie und Geburtshilfe, ihre Einschätzungen und Erfahrungen.

Loading

Mehr lesen »

Gefangen im Gesundheitswahn – Einblicke in eine unsichtbare Sucht

Wenn das Streben nach Gesundheit zwanghaft wird, kippt das Gleichgewicht. Heute entstehen neue Formen der Sucht, die sich oft hinter als positiv empfundenen Verhaltensweisen verbergen: Sport und gesunde Ernährung. Bigorexie, die Sucht nach körperlicher Betätigung, und Orthorexie, das zwanghafte Streben nach gesundem Essen, können zu einem unsichtbaren Gefängnis werden. Jeanne Spachat, Autorin des Buches «La nouvelle vie d’un caméléon», hat diese extremen Verhaltensweisen selbst erlebt. Heute erzählt sie von ihrem inneren Kampf, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Loading

Mehr lesen »

Zwangsstörungen: Wenn Rituale den Verstand beherrschen

Zwangsstörungen (Obsessive-Compulsive Disorder, kurz: OCD) betreffen weltweit Millionen von Menschen. Doch aufgrund von Stigmatisierung und Unverständnis bleiben sie oft im Verborgenen. Dabei sind diese Störungen weit mehr als nur eine «Manie» und können den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen.

Loading

Mehr lesen »

Zittern: über Parkinson hinaus

Zittern, das durch unwillkürliche rhythmische Bewegungen eines oder mehrerer Körperteile gekennzeichnet ist, wird normalerweise mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung gebracht. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Parkinson-Krankheit nicht die einzige Ursache für Zittern ist. Viele Gesundheitszustände können diese unwillkürlichen Bewegungen auslösen.

Loading

Mehr lesen »

Wenn das Tempo nicht mehr passt

Julie Cartwright, 43, war schon immer ein Mensch voller Energie. Zehn Jahre lang trainierte sie Kampfsport,
später spezialisierte sie sich auf Luftakrobatik. Daneben absolvierte sie ihr Masterstudium, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin und gründete mit einer befreundeten Person ein eigenes Luftakrobatik-Studio. Alles war in Bewegung, sie funktionierte perfekt im Hochleistungsmodus: körperlich, beruflich und mental.

Loading

Mehr lesen »