Das Geheimnis der 100-Jährigen

Nina Ruge 
Die Longevity Expertin, Bestsellerautorin, Podcasterin («staYoung – Der Longevity-Podcast») und Moderatorin («heute journal», «Leute heute») bringt uns die faszinierenden Erkenntnisse der Langlebigkeits-Forschung nahe – und zwar so, dass man Lust auf mehr bekommt! 

Liebe My Life-Leserinnen und -Leser, ich verstehe mich als Botschafterin einer ziemlich guten Sache: der Langlebigkeits-Forschung. Mehr Wissen und mehr tun, für sich selbst, für ein gesundes, langes Leben. Wie wäre es mit ein paar Zahlen: Was ist das Ziel der Forscher? 120 werden, und zwar gesund! 130 sind auch bald möglich – ach was, 150 packen wir auch! Mit solchen Zahlen jonglieren tatsächlich einige aus der «Langlebigkeits-Szene». Ich halte nicht viel davon. Das ist Zukunftsmusik. Für meine Generation und wahrscheinlich auch für die nach mir nicht zu erreichen. Aber gesunde 90? Oder gesunde 100 vielleicht? | Nina Ruge

Centenarians 

Schauen wir uns an, was wir über die Ausnahme-Exemplare des Alterns heute wissen: über «Centenarians», also die über 100-Jährigen. Von ihnen gibt es immer mehr. In Deutschland waren es 2021 gut 23500. Im Jahr 2000 sind es knapp 6000 gewesen. Klar – die immer bessere medizinische Versorgung, auch der steigende Wohlstand lassen einige mehr uralt werden. Dann müsste dieses hehre Ziel der Dreistelligkeit des Alters doch für uns alle erreichbar sein, wenn wir nur gut und gesund leben und Vorsorge-Untersuchungen brav absolvieren? Immerhin: Für rund die Hälfte aller, die nach 2000 geboren sind, wird eine Lebenserwartung von mindestens 100 prognostiziert. 

Blue Zones

Der Lebensstil scheint eine grosse Rolle zu spielen für eine dreistellige Lebenserwartung. Die berühmten «Blue Zones» liefern uns beste Beispiele dafür. Unter «Blauen Zonen» versteht man ziemlich abgelegene Regionen der Welt, in denen aussergewöhnlich viele über 100-Jährige leben. Genauer gesagt: in denen Menschen das 101. Lebensjahr mindestens zehnmal häufiger erreichen als in den USA. Und wo sind diese Zonen? Auf Sardinien, der japanischen Insel Okinawa, der Insel Ikaria in Griechenland oder auf einer Halbinsel in Costa Rica. Und wer hätte das gedacht: Die Bewohner:innen dieser weltweit verstreuten Regionen haben einen sehr ähnlichen, sehr gesunden Lebensstil. Regelmässige Bewegung, sie können Stress gut verarbeiten, haben starke Beziehungen zu Familie und Freund:innen, ein sinnorientiertes Leben. Und die Ernährung? Kleine Portionen, viel Gemüse der Region, wenig Fleisch, die letzte Mahlzeit des Tages am Nachmittag – durchaus Weinkonsum, aber moderat. Okay, denken Sie vielleicht, das ist nichts Neues. So sehen auch hierzulande die Empfehlungen für eine gesunde Lebensführung aus. Doch dann müssten doch alle, die so leben, über 100 werden?! Also: Was ist mit den Genen? Uralt zu werden – ist das nicht doch erblich?

Genetische Jungbrunnen

Ja, durchaus. Denn mindestens die Hälfte aller 100-Jährigen haben nahe Verwandte, die ebenfalls aussergewöhnlich alt werden. Ja, der Lebensstil spielt eine grosse Rolle, aber offenbar auch, ob wir in der Lotterie unserer Gene mit «Langlebigkeits-Varianten» gesegnet worden sind.  Vier dieser genetischen Jungbrunnen hat die Wissenschaft heute identifiziert: Was machen die genau? Die helfen zum Beispiel unserem Immunsystem, bis ins hohe Alter cool und konsequent Entzündungen, Krebszellen, Zombiezellen und Plaques im Gehirn (also Demenz) in Schach zu halten. Ausserdem hat man entdeckt, dass bei vielen Centenarians die «normalen» Gene zum Schutz vor Entzündungen, Krebs oder Demenz deutlich intensiver arbeiten als üblich. Die «Genexpression» ist höher und damit die Power der Sheriff-Proteine unserer Immunpolizei.

Tumor-Suppressor-Gen

Noch ein genetischer Trick lässt manche grosse Tiere lange leben. Das hat man aus Genen langlebiger Tierarten wie Grönlandwale oder Galapagos-Schildkröten gelesen. Nehmen wir als Beispiel fantastischer Langlebigkeit den Elefanten. Grosse Tiere haben logischerweise viel mehr Körperzellen als kleine. Mit dem Älterwerden steigt die Zahl der Mutationen in den Zellen und damit auch die Krebsgefahr. In Elefanten ist diese Gefahr elefantös. Was hat die Evolution also getan? Das grossartige Tumor-Suppressor-Gen, das auch bei uns die Zellteilungen verlangsamt und den Reparaturenzymen mehr Zeit gibt, ihre lebenswichtige Arbeit zu tun: Von diesem Gen gibt es in jeder Elefantenzelle nicht nur eine, sondern über 20 Kopien. Die Krebsgefahr ist weitgehend gebannt. Die gute Botschaft für uns: Wer kontrolliert isst, das heisst wenig, gemüsebasiert und nur zweimal am Tag, kann ähnliche Effekte in seinen Zellen bewirken.

Summa summarum?

Über 100 werden, und das möglichst gesund, dazu braucht es einiges: konsequent gesunden Lebensstil, hervorragende medizinische Versorgung, geniale Lebensbedingungen wie bei uns – UND «gute Gene». 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Abonnieren Sie die Printversion von Gesundheitsecho, um Zugriff auf alle Informationen zum Thema zu haben: Erfahrungsberichte, Tests, nützliche Adressen, Infografiken und mehr.
Also warten Sie nicht länger!
CHF39.00
Oder abonnieren Sie direkt 8 Ausgaben!
CHF78.00

Loading

Teilen auf

Facebook

Weitere Artikel

Parenterale Ernährung: ernährung jenseits der Grenzen

Stellen Sie sich vor, Ihr Verdauungstrakt ist eine Autobahn, blockiert durch einen Stau: Nichts kommt durch, weder die Nahrung noch die lebenswichtigen Nährstoffe, die den Körper versorgen. In solchen kritischen Momenten kann ein unsichtbarer, aber wirksamer Weg geöffnet werden, um Ihr Überleben zu sichern: die parenterale Ernährung. Sie ist weit mehr als eine Behandlung — sie ist oft die Rettung für Patientinnen und Patienten in kritischen Situationen. Dr. Nathalie Jacquelin-Ravel, Expertin für klinische und metabolische Ernährung, erklärt uns, wie dieser Ansatz es ermöglicht, die natürlichen Grenzen des Körpers zu umgehen und ihm neue Kraft zu verleihen – und manchmal sogar eine zweite Chance.

Loading

Mehr lesen »

Technologie im Mittelpunkt der Betreuung

Diabetes ist eine chronische Krankheit, die weltweit Millionen von Menschen betrifft. Obwohl die Krankheit immer besser verstanden wird, gibt es weiterhin viele Herausforderungen, um die Patient:innen in ihrem Alltag optimal zu unterstützen. Heute sprechen wir mit der Allgemeinmedizinerin Dr. Dominique Durrer, ehemals assoziierte Ärztin an den Universitätskliniken Genf und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Adipositasforschung (ASEMO).

Loading

Mehr lesen »

Wie «Zombie-Zellen» uns im alter krank machen

Viele Jahre länger gesund und fit bleiben und sich noch mit 60 wie 40 fühlen! Was wir selbst tun können für diesen Turbo rückwärts, dazu haben Sie in meinen My Life-Kolumnen schon einiges erfahren. Aber es gibt noch unendlich viel Neues aus der Zellforschung zu berichten, zu Sport, Atmung, Zellen, auch Hitze und Kälte, Stressmanagement und vielem mehr. Doch lassen Sie mich heute schon mal ans «Eingemachte» gehen. Was sind denn die richtig starken Mittel, die uns verjüngen könnten, was ist die nächste grosse Hoffnung der Verjüngungsindustrie?

Loading

Mehr lesen »