Psychische Gesundheit in Krisenzeiten: Was die Seele stark macht

Menschen erleben im Verlauf ihres Lebens seelische Krisen. Sie gehören zum Mensch-Sein und insofern zum Leben. Nicht jede seelische Krise ist krankhafter Natur oder bedarf professioneller Behandlung. Viele dieser Krisen können durch Aktivierung eigener Ressourcen und mithilfe nahestehender, wohlwollender Menschen überwunden werden. Unbestritten ist jedoch, dass die Auswirkungen der Covid-Pandemie, kriegerische Auseinandersetzungen, die zunehmend sichtbaren Folgen des Klimawandels und die damit verbundenen Umweltereignisse (Stürme, Hitze, Überschwemmungen) sich negativ verstärken und Menschen zusätzlich verunsichern und psychisch belasten. Dr. med. Beate Immel, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Stv. Chefärztin der Klinik Schützen Rheinfelden, zeigt auf, wie wir unsere innere Widerstandskraft in schwierigen Zeiten stärken können und welche Wege es gibt, psychischen Belastungen entgegenzuwirken. Von Dr. med. Beate Immel

Wie kann psychische Gesundheit in diesen Krisenzeiten geschützt werden? Und was fördert unsere innere Widerstandkraft?

Nicht nur Märchen handeln davon, dass Menschen trotz schwierigster Startbedingungen in der Kindheit, Zuversicht und Zufriedenheit im Lebensverlauf entwickeln können. Die Chancen, das eigene Wohlbefinden zu beeinflussen, sind grösser, als vielen von uns bewusst ist. Zum Beispiel hat regelmässige körperliche Aktivität nachweislich positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, reduziert Anspannung und hebt die Stimmung. Spaziergänge in der Natur wirken ähnlich wie antidepressive Medikation. Auch ein gutes soziales Netzwerk gleicht aus.

Hilfreich ist es, besonders in Krisenzeiten, nicht nur auf das eigene Erleben zu fokussieren, sondern eine innere Haltung zu finden, die sich auf uns selbst und auf andere bezieht. Denn: Vielfältige Beziehungen, der Austausch mit anderen Menschen fördert psychische Stabilität. Auch das ist inzwischen wissenschaftlich gut belegt. Im Miteinander, in der Gemeinschaft können wir Stärke und Kraft finden. Und wenn wir aktiv werden, etwas beitragen zum grossen Ganzen, fühlen wir uns kompetenter, selbstwirksamer. «Etwas für andere tun» stiftet Sinn. Ebenso wie gemeinsam Sinnvolles tun. Hier steht Generativität an erster Stelle. Und Sinn im Leben erhöht definitiv die Zufriedenheit. Zufriedenheit baut aber auch darauf auf, Momente anzunehmen, die von Schmerz oder Leid erfüllt sind.

Das Finden einer gewissen Akzeptanz benötigt Aufmerksamkeit und guten Austausch. Grundsätzlich sollten wir uns darin üben, den Blickwinkel zu erweitern. Nicht nur auf Belastungen oder mögliche negative Folgen ungewohnter Situationen zu schauen, sondern auf die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen im Umgang damit. Weil viele Menschen derzeit angespannt sind und dazu neigen, Misstrauen und Ängste zu verallgemeinern, besteht eine gewisse Gefahr der emotionalen Ansteckung. Denken Sie daher gezielt über sich selbst nach: über eigene Lebensziele, Werte und Haltungen.

Auch um eine gute Beziehung zu sich selbst zu pflegen, zu entwickeln. Nehmen Sie sich Zeit und lassen Sie einen Tag Revue passieren. Stellen Sie sich Fragen: Was hat mich heute begeistert? Was ist mir gelungen? Was habe ich selbst dazu beigetragen? Akzeptieren Sie Gegensätze in sich, unterschiedliche Seiten. Niemand ist perfekt. Die Zumutungen des Alltags lassen sich oft besser ertragen, indem man sich bewusst macht, was gut gelaufen ist, als eine einseitige, negative Beschäftigung mit den eigenen Schattenseiten. Derartige Rituale sind nicht zufällig Bestandteil der meisten Lebenskunst-Lehren.

Was ist zu tun, wenn die alltäglichen Belastungen dennoch in eine psychische Krise führen?

Krise (lat. Crisis) beschreibt den Höheoder Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung. Eine akute psychische Krise ist ein äusserst schmerzhafter Zustand. Sie kann als Ausdruck eines innerpsychischen Konflikts verstanden werden und stellt bisherige Erfahrungen, Werte und Ziele in Frage und hat für Betroffene häufig bedrohlichen Charakter, da die Krise zu einer fortschreitenden Einengung der Wahrnehmung sowie der Handlungs- und Problemlösefähigkeiten führt. Die Person wird von heftigen Emotionen überwältigt und ist auch im Denken beeinträchtigt. Wenn eine psychische Krise ohne entsprechende Fähigkeiten zur Bewältigung andauert, führt dies nicht selten zu psychosomatischen Beschwerden, Schmerzen oder zu psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Angsterkrankungen oder zu Persönlichkeitsstörungen.

Was tun, wenn sich das psychische Befinden verschlechtert?

Wenn sich das psychische Befinden verschlechtert, der Alltag kaum mehr zu bewältigen ist und Symptome wie Schlafstörungen, sozialer Rückzug, Energielosigkeit und Ängste zunehmen, verständnisvolle Angehörige ebenfalls an ihre Grenzen geraten, ist dies meist der Ausdruck einer krankhaften, intensiver behandlungsbedürftigen Entwicklung. Hausärztinnen und Hausärzte sind erste Ansprechpartner, besonders wenn sie die Betroffenen und ihr Umfeld kennen. Fachpersonen für Psychiatrie und Psychotherapie sind Spezialisten für seelische Krisen und psychische Erkrankungen. Sie bieten in Praxen oder in psychiatrisch-psychotherapeutischen Ambulatorien gemeinsam mit psychologischen Psychotherapeutinnen spezifische Therapieverfahren an.

In einem Erstgespräch schätzen sie die individuelle Situation ein, besprechen mit den Betroffenen nach einer auf das Krankheitsbild zugeschnittenen Diagnostik eine individuelle Therapieempfehlung, wenn nötig auch medikamentöse Unterstützung. Je nach Schwere und Ausprägung der Symptomatik sind wenige psychotherapeutische Krisengespräche ausreichend. Oder es wird zur Stabilisierung und Linderung der Symptome und zum besseren Verständnis der Situation eine intensive psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Auch finden Betroffene in spezialisierten Zentren, den sogenannten Kriseninterventionszentren (KIZ), in schweren akuten psychischen Krisen einen geschützten Raum vor.

Wer also von seelischen Problemen akut schwer oder anhaltend beeinträchtigt ist, sollte sich ebenso wie bei körperlichen Erkrankungen nicht scheuen, Beratung, Hilfe und auch psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Hier werden mit einer Kombination von Gesprächstherapien, körper- und ausdrucksorientierten Therapien und einer gezielten Behandlung die Symptome gemildert und Voraussetzungen für eine gezielte ambulante Weiterbehandlung geschaffen. Dabei gilt: Psychiatrischpsychotherapeutische Hilfe ist wirksam!

Perspektivenwechsel: der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft

Um unsere Zukunft gemeinsam gut und lebenswert zu gestalten, braucht es die Fähigkeit, Perspektivenwechsel zu vollziehen; sich interessiert auch «in die Schuhe anderer zu stellen» und immer wieder um Verständigung zu ringen. Den eigenen Blickwinkel zu ändern, kostet Überwindung und braucht Beharrlichkeit und Mut, besonders wenn man eingeschliffene Verhaltensmuster ändern möchte.

Im Kern geht es darum, einerseits mit Mitmenschen und der Umwelt sorgsam umzugehen, andererseits auch die eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie nicht leichtfertig zu übergehen. Denn wer sich selbst nicht liebevoll behandelt, seine Tugenden und Fähigkeiten nicht kultiviert, kann ebenso wenig gute Beziehungen zur Welt aufbauen.

 
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