Warum werden Endometriose und Myome oft spät erkannt und unterschätzt? Die Gynäkologin und Myom-Expertin Dr. Schmid-Lossberg und der Gynäkologe und Endometriose-Spezialist PD Dr. Patrick Imesch erklären die Hintergründe und zeigen auf, wie neue Therapieansätze Hoffnung für Betroffene bieten. Von Anna Meier
Dr. Imesch, warum sind Frauenkrankheiten wie Endometriose noch immer wenig erforscht?
Dr. Imesch: Das Bewusstsein für Endometriose hat in den letzten Jahren zugenommen, aber es gibt noch viel zu tun. Im Vergleich zu anderen Krankheiten ist Endometriose noch relativ wenig erforscht. Ein grosses Problem ist die geringe Finanzierung – in den USA fliessen beispielsweise nur etwa 2 Dollar pro Fall und Jahr in die Endometriose-Forschung.
Woran liegt das?
Dr. Imesch: Früher wurde Endometriose oft als einfache Menstruationsbeschwerden belächelt. Endometriose wurde nicht so ernst genommen, da sie nicht als lebensbedrohlich angesehen wurde wie etwa eine Krebserkrankung. Ausserdem ist es eine Erkrankung ohne grosse Lobby, was die Aufmerksamkeit und Finanzierung weiter einschränkt.
Schätzungen zufolge leiden rund sechs bis 10% der Frauen im gebärfähigen Alter an Endometriose. Was bedeutet das für die Betroffenen?
Dr. Imesch: In erster Linie bedeutet das häufig Qualen. Es gibt oft lange Latenz-zeiten von den ersten Symptomen bis zur Diagnose – im Durchschnitt dauert es sechs bis neun Jahre, bis die Krankheit erkannt wird, und Betroffene konsultieren in dieser Zeit etwa fünf Ärzte. Chronische Schmerzen verändern das Schmerzempfinden und können die Betroffenen in eine Abwärtsspirale führen – und letztlich die Lebensqualität deutlich einschränken.
Warum dauert es so lange, bis Endometriose diagnostiziert wird?
Dr. Imesch: Endometriose entsteht, wenn Gewebe ähnlich der Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutter wächst. Dabei ist die Krankheit komplex, weil sie oft nur kleine Veränderungen im Körper verursacht, die in der Bildgebung kaum sichtbar sind. Zudem sind die Symptome sehr unterschiedlich und betreffen nicht nur Menstruationsbeschwerden.
Manche Frauen haben die Läsionen am Zwerchfell, die sich dann als Schulterschmerzen äussern, andere wiederum leiden unter Darmproblemen. Viele betroffene Frauen beklagen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, beim Stuhlgang oder Wasserlösen. Endometriose ist nicht nur eine Schmerzerkrankung, sondern betrifft auch die Fertilität und den gesamten Stoffwechsel.
Welche Behandlungsansätze gibt es?
Dr. Imesch: Endometriose ist eine chronische, entzündliche und hormonabhängige Krankheit. Sie erfordert einen langfristigen Plan, da sie sich nicht einfach dauerhaft wegoperieren lässt – die Veränderungen und Schmerzen kehren oft zurück.
Die Behandlung basiert derzeit hauptsächlich auf hormonellen Therapien, die normalerweise sehr gut verträglich sind. In schwereren Fällen, insbesondere dann, wenn Organe unter der Krankheit leiden, die Schmerzen medikamentös nicht behoben werden können oder eventuell ein Kinderwunsch vorhanden ist, kann eine Operation erforderlich sein, um Endometriose-Herde zu entfernen. Die besten Resultate erzielt man in einem multimodalen, interdisziplinären Setting.
Eine weitere häufige Frauenkrankheit sind Myome: Zwei Drittel aller Frauen haben mindestens ein Myom in der Gebärmutter, bevor sie in die Wechseljahre kommen. Wie entstehen diese?
Dr. Schmid-Lossberg: Myome sind die häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen. Es handelt sich dabei um hormonabhängige Tumore, die aus der Muskelschicht der Gebärmutter stammen, welche normalerweise für die Wehen während der Geburt verantwortlich ist.
Wie machen sich Myome bemerkbar und welche Auswirkungen können sie auf das Leben der betroffenen Frauen haben?
Dr. Schmid-Lossberg: Wenn Symptome vorhanden sind, können diese sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wo sich die Myome befinden und wie gross sie sind. Das häufigste Symptom sind Blutungsstörungen mit teilweise sehr starken und häufigen Regelblutungen. Aber auch Drucksymptome auf Blase und Darm, Blähungen, Völlegefühl, Schmerzen während der Menstruation und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sind sehr häufig. Unerfüllter Kinderwunsch kann ebenfalls ein Symptom für Myome sein.
Wann müssen Myome behandelt werden und welche Therapieoptionen gibt es?
Dr. Schmid-Lossberg: Myome müssen nur behandelt werden, wenn sie Symptome verursachen oder sehr stark wachsen. Hier gibt es zwei Behandlungsoptionen: Die medikamentöse und operative Therapie. Im Bereich der medikamentösen Therapie ist in der Schweiz seit Anfang 2023 ein neues Medikament zugelassen, welches den Hormonspiegel senkt und das Wachstum von Myomen sowie Blutungen reduziert. Alternativ können auch die Pille oder eine Hormonspirale als medikamentöse, symptomatische Therapie eingesetzt werden.
Wann wird eine operative Therapie notwendig?
Dr. Schmid-Lossberg: Eine Operation ist sinnvoll, wenn die Patientin keinen Eingriff in Ihren Hormonhaushalt mittels medikamentöser, hormoneller Therapie wünscht oder die Myome starke Symptome verursachen. Ebenso bei einem bestehenden Kinderwunsch, da Myome auch die Fruchtbarkeit beeinflussen können. Die Art der Operation hängt von der Grösse und Lage der Myome ab.
Welche neuen operativen Verfahren gibt es?
Dr. Schmid-Lossberg: Ein neuartiges operatives Verfahren ermöglicht eine schnittfreie, schmerzarme Behandlung für Uterusmyome. Dabei werden die einzelnen Myome mit Hilfe eines in der Gebärmutter befindlichen Ultraschall-Behandlungsgeräts ausfindig gemacht und mit Hitze behandelt. Die Myome schrumpfen innerhalb der nächsten Monate nach der Behandlung. Gemäss der Literatur berichten nach 12 Monaten rund 95% der Patientinnen über eine Blutungsreduktion und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.
Für welche Myom-Patientinnen eignet sich dieses Verfahren?
Dr. Schmid-Lossberg: Ein Grossteil der Myome eignet sich für eine solche Behandlung, inzwischen wurden bereits über 10‘000 Patientinnen damit therapiert. Dieses Verfahren sollte daher auch die Therapie der Wahl sein, bevor man sich für einen grösseren Eingriff entscheidet.
Wie wichtig ist die Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit über Frauenkrankheiten?
Dr. Schmid-Lossberg: Ich denke, es ist wichtig, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass zum Beispiel eine extrem starke Menstruationsblutung nicht normal ist und dass es durchaus eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, die Beschwerden zu lindern und damit die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern. In diesem Punkt ist auch die Aufklärung über mögliche neuere Therapieansätze wichtig, mit denen die Patientinnen schonender behandelt werden können und ihnen der Organerhalt ermöglicht wird.
Gibt es eine abschliessende Botschaft, die Sie unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben möchten?
Dr. Imesch: Frühzeitige Abklärung lohnt sich! In vielen Fällen kann dadurch das Leiden verringert werden, und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert sich erheblich. Wenn eine Frau regelmässig Schmerzmittel nehmen muss und Angst vor der Menstruation hat, sollte sie unbedingt eine Abklärung vornehmen lassen.