Umgang mit den Gefühlen der Patienten: Die Mitteilung einer Blutkrebsdiagnose begleiten

Die Diagnose Blutkrebs versetzt Patienten oft in ein Wechselbad der Gefühle – Angst, Ungewissheit und Trauer. In diesem Artikel stellt Prof. Dr. med. Wolf Langewitz, ein emeritierter Medizinprofessor und Lehrbeauftragter für Psychosomatik und Kommunikation an der Universität Basel, sein Fachwissen zur Verfügung, um Patienten durch die psychologischen Turbulenzen nach einer solchen Diagnose zu helfen. Auf der Grundlage seiner langjährigen klinischen Erfahrung und Forschung bietet der Professor Gesundheitsdienstleistern, Patienten und ihren Familien einen Schlüssel zum Umgang mit komplexen emotionalen Reaktionen und ermöglicht es den Betroffenen, in einer der schwierigsten Phasen ihres Lebens Stärke, Widerstandskraft und Hoffnung zu finden. Dieses Interview ist eine wertvolle Ressource für alle, die das psychische Wohlbefinden von Menschen mit Blutkrebs verstehen und unterstützen möchten.

/ Adeline Beijns

Die Diagnose Blutkrebs kann sehr belastend sein. Wie kann man Patienten beruhigen, die Angst vor der Diagnose haben?

Die Diagnose Blutkrebs ist zweifellos ein schwieriger und erschütternder Moment. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Diagnose nicht gleichbedeutend ist mit schwerem Leid oder dem unausweichlichen Tod. Sie markiert vielmehr den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Auf dem Weg dorthin werden sich die Perspektiven von Betroffenen und Angehörigen grundlegend ändern. Die heutigen Fortschritte in der Medizin geben Anlass zur Hoffnung, denn es gibt immer fast einen Behandlungsplan, der in Betracht gezogen werden kann. Der Fokus sollte also nicht nur auf der Krankheit liegen, sondern Betroffene auf eine ungewisse Reise vorbereiten, die auch neue Sichtweisen auf die Welt anbieten wird. In dieser Phase ist Kommunikation eher eine Frage der Intuition und des Einfühlungsverm.gens als der wissenschaftlichen Evidenz. Es gibt keinen perfekten Weg, eine Nachricht zu übermitteln, die unweigerlich einen Schock auslösen wird. Die Reaktion der Patientinnen und Patienten ist einzigartig und im Einzelfall nicht vorhersehbar. Geduld ist daher unerlässlich; es ist entscheidend, dass Menschen Zeit haben, die Nachricht zu verarbeiten.

Welche unterschiedlichen Reaktionen haben Sie bei Ihren Patienten erlebt?

Die Reaktionen auf die Diagnose Blutkrebs sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie erhalten. Manchmal reagieren Betroffene zunächst einmal erstaunlich pragmatisch auf die Diagnosemitteilung. Ihre Überraschung hält nicht lange an und weicht schnell dem dringenden Bedürfnis, zu wissen, wie es weitergeht. Sie stellen Fragen zu Behandlungsmöglichkeiten, wollen verstehen, was das bedeutet und wann es losgeht. Andere ziehen sich in einen Zustand der inneren Sammlung zurück, sie wirken abwesend und nicht länger im Dialog. Man könnte sagen, Menschen suchen über den Rückzug nach einer kurzen Atempause, bis sie sich der Nachricht stellen. Es gibt auch

«Der Fokus sollte also nicht nur auf der Krankheit liegen, sondern Betroffene auf eine ungewisse Reise vorbereiten, die auch neue Sichtweisen auf die Welt anbieten wird»

Patienten, die mit Frustration und Aggression reagieren. Dies gilt insbesondere für Patienten, die einen langen und beschwerlichen Weg mit z.T. widersprüchlichen Untersuchungen hinter sich haben, bevor sie ihre endgültige Diagnose erhalten. Ihre Aggressivität richtet sich weniger gegen die Nachricht selbst, sondern eher an den Überbringer der schlechten Neuigkeiten.

Wie kann man dem Patienten helfen, die Nachricht zu ”verdauen”?

Indem man den Grund für die Angst identifiziert, unter der der Patient leidet, und sich fragt, wie man darauf reagieren kann. Manche Ängste lassen sich nicht von einer Fachperson allein entkräften, sondern es ist für manche Menschen wichtig, von anderen Betroffenen zu hören, wie sie ihre Diagnose verkraftet haben und wie sie heute, z.B. nach einer Knochenmarkstransplantation leben. Die entscheidende Frage ist dann: «Würden Sie sich noch mal so entscheiden? » Andere Fragen sind besser bei Fachpersonen aus anderen Berufsgruppen aufgehoben, z.B. bei Pflegenden, in der Ernährungsberatung oder bei Physiotherapeuten. Manche Patienten und Patientinnen möchten auch, dass jemand von der Seelsorge involviert wird. Deshalb ist es wichtig und vor allem für Ärzte und Ärztinnen entlastend, nicht alles alleine bewältigen zu müssen, sondern einen Teil der Verantwortung mit einem Team zu teilen.

Welche Ängste und Fragen stellen Patienten in der Regel unmittelbar nach der Diagnosestellung an den Arzt?

Neben der Angst vor dem Tod und dem Leiden wird manchen Menschen bewusst, dass sie sich auf den Abschied von ihren Angehörigen vorbereiten müssen und dass ihre Zeit auf der Erde wahrscheinlich begrenzt ist. Auch wenn manche Menschen an ein Leben nach dem Tod glauben, bedrückt sie das Ende des unmittelbaren Austauschs miteinander, das nach ihrem Tod eintreten wird. Hinzu kommt die Sorge um die Angehörigen und den Schmerz, den sie erleiden müssen, wenn sie den Patienten oder die Patientin verlieren.

Welche Unterstützung haben Patienten, um ihr neues Leben zu bewältigen?

In den meisten onkologischen Zentren gibt es multidisziplinäres Betreuungsteams, zu dem neben Fachleuten für Hygiene- und Ernährungsspezialisten auch Physiotherapeuten gehören, die nicht nur helfen können, eine gewisse Muskelkraft und die Beweglichkeit der Gelenke zu erhalten, sondern auch eine menschliche Berührung anbieten können, z.B. über eine sanfte Massage. Allzu oft wird vergessen, dass Menschen gerade in schweren Zeiten ein grosses Bedürfnis nach Körperkontakt haben, also berühren und berührt werden wollen.

Welchen Rat würden Sie Angehörigen geben?

Den Schmerz, den auch sie nach der Diagnose empfinden werden, nicht zu unterschätzen, auch wenn er anders sein wird als der Schmerz der unmittelbar Betroffenen. Den Angehörigen der Gesundheitsberufe würde ich sagen, dass sie sich bewusst sein sollten, dass sie es nicht nur mit einem Betroffenen zu tun haben (dem Patienten oder der Patientin), sondern mit mindestens zweien, von denen jeder seinen eigenen Weg finden muss. So kann es vorkommen, dass ein Patient bereit ist, loszulassen und sich nicht auf eine fünfte Behandlungsvariante einzulassen, während die Angehörigen nicht bereit sind, dies zu akzeptieren und möchten, dass er weiterkämpft. Man darf nicht vergessen, dass die Routine der onkologischen Behandlung nicht nur den Betroffenen, sondern auch den Menschen in ihrem Umfeld eine gewisse Struktur gibt, die bei der Behandlung wegbricht. Gut vorstellbar ist auch, dass Angehörige sich Sorgen machen über das Leben ohne den Patienten oder die Patientin, also nicht nur Angst vor seinem Tod und Sterben haben, sondern auch vor der Zeit danach.

«Sie ist zutiefst persönlich und wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die mit seiner Lebenserfahrung und seiner emotionalen Konstitution zusammenhängen»

Ein letztes Wort?

Es gibt keine einheitliche Herangehensweise an eine so schwerwiegende Diagnose wie Blutkrebs. Daher ist Bescheidenheit eine Kardinaltugend für die Angehörigen von Gesundheitsberufen. Im Mittelpunkt steht die individuelle Reaktion der unmittelbar Betroffenen, die sehr unterschiedlich ausfallen kann. Sie ist zutiefst persönlich und wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die mit seiner Lebenserfahrung und seiner emotionalen Konstitution zusammenhängen. Diese unterschiedlichen Reaktionen anzuerkennen und sich darauf einzustellen, ist entscheidend. Wir können davon ausgehen, dass viele Betroffene mehr Zeit brauchen, um sich auf eine neue Diagnose einzustellen. Dieses Ziel kann oft nicht in einer einzigen Konsultation erreicht werden.

Von daher ist neben der Bescheidenheit – auch nach vielen Jahren beruflicher Erfahrung weiss ich nicht, wie mein Gegenüber reagieren wird – Geduld eine weitere Tugend, die es zu beherzigen gilt.

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung von Janssen-Cilag AG erstellt – CP-423371 11/2023

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